Gonder – Äthiopien in klein

Wandelt man durch die Straßen der Stadt Gonder, so läuft man nicht nur am königlichen Palast vorbei. In vielen kleinen Situationen wird man unweigerlich Augenzeuge des Aufeinandertreffens einer einzigartigen Historie und deren Errungenschaften auf die heutige afrikanische Gesellschaft. Man erlebt Äthiopien in klein.

Das nördliche Äthiopien beherbergt mit Aksum und Gonder zwei der historisch und religiös bedeutendsten Städte Ostafrikas und speziell in Gonder () konnte vieles zumindest konserviert oder gar rekonstruiert werden. Wenn man auch nicht die Türme sieht, so dominiert der Kaiserpalast des Fasilides nicht zuletzt durch seine dicken Mauern das Bild des Stadtkerns. Für viele Touristen ist Gonder der wichtigste Zwischenhalt auf dem Weg in Richtung abessinisches Hochland, denn in Debark, der Stadt zu Fuße der Simien Mountains, ist es um die Versorgung mit Lebensmitteln & Co. oftmals nicht allzu gut bestellt.

Kaum am Flugplatz angekommen, konfrontiert einen der Taxifahrer mit dem Afrika-Ärgernis schlechthin: Du bist weiß, Du hast Geld, egal ob Du dafür arbeiten musst oder nicht, man bekommt erstmal das Drei- oder gar Vierfache abgeknöpft. Jene Mentalität begegnet einem immer und überall, egal ob es sich um Cent oder mehrstellige Eurobeträge handelt. Am Eingang des Königspalasts ergeht es einem nicht anders. Glücklicherweise wird nicht an der Eintrittspreisschraube gedreht, dafür aber das Märchen aufgetischt, dass ein Guide obligatorisch und natürlich zusätzlich zu bezahlen ist. Die Nachfrage bei der Kassenfrau und die Autorität ihres Amtes lässt die wild auf einen einprasselnden Lügen allerdings schnell verstummen.

Am beeindruckendsten ist sicherlich das Hauptgebäude des Königspalasts, mit seinen trutzigen schwarzen Türmen und die angeschlossenen Verwaltungsgebäude. Während man durch die Überbleibsel des alten Anwesens streift, wird man von oben aus der Luft beobachtet. Rund um Gonder nisten viele Raubvögel und auch Geier, die in den Vormittagsstunden elegant durch die Lüfte gleiten und oftmals in und am Königspalast Station machen.

Hat man die Mauern des Palastes hinter sich gelassen, ist’s mit der Ruhe und Abgeschiedenheit auch schon vorbei und man taucht wieder in die Geräusch- und Geruchkulisse einer äthiopischen Provinzhauptstadt ein. Die blauen Tuk-Tuks zwängen sich knatternd vorbei und blasen einem feinsten Dieselruß ins Gesicht. Sobald man wieder klar sehen und riechen kann, muss man aber auch schon wieder vor dem sich wild hupend nähernden Laster beherzt springend die Flucht ergreifen und landet natürlich prompt in den Verdauungsresten einer wohl sehr üppig ausgefallenen Eselmahlzeit.

Ich und mein Gaspedal… Die oft propagierten christlichen Werte scheinen beim Autofahren nicht sonderlich zum Einsatz zu kommen. Die Art und Weise wie Fußgänger aufs Korn genommen werden, zeugt von einer gehörigen Portion nicht vorhandenen Respekts. Hinterher aber, wenn man etwas oder jemanden an- oder gar überfahren hat, sei es auch nur ein Hund, ist das Gejammer groß… Generell hat es der äthiopische Verkehr in sich. Entweder fahren sie alle Toyotas mit klemmendem Gaspedal, oder aber eine gewissen “Bahn frei! Hier komm ich!”-Mentalität scheint beim Gas geben die Denkmuster zu dominieren. Spätestens wenn man wie ein Affe auf dem Schleifstein mit 140km/h über eine schroff abfallende Rollsplittstraße gen Lalibela katapultiert wird und als Beifahrer sämtliche Situationen kurz vor dem Kippen des Fahrzeugs mitbekommt, macht man sein innerliches Testament.

Äthiopische Infrastruktur ist definitiv eine Geschichte für sich selbst. Die Züge der einzigen Bahnlinie im Land entgleisen nahezu täglich und auch das Reisen über Land ist oft von Improvisationstalent und Geduld geprägt. Unabhängig von den Straßenverhältnissen und der Fahrweise kann das Zurücklegen der für europäische Verhältnisse recht kleinen Distanz von 300km schon mal zum Tagesmarsch ausarten. Egal ob liegen gebliebener Minibus, unkoordinierte Eselherden auf der Straße oder Fahrer unter Drogeneinfluss (Kath), eine Reise durch Äthiopien hat definitiv Abenteuerpotential.

Allein die Busfahrt von Gonder nach Addis Abeba nimmt bereits zwei volle Tage in Anspruch. Daher ist es nicht besonders verwunderlich, dass die Flüge der Ethiopian Airlines schnell bis auf den letzten Sitzplatz vergriffen, ja sogar drastisch überbucht sind. Selbstredend, dass wenn man ein (Flug-)Monopol hat, man sich dieses auch fürstlich vergolden lässt. Reisende die mit internationalen Zubringerflügen von Ethiopian ins Land gebracht werden, erhalten zumindest auf Inlandsflüge einen Rabatt, der allerdings nicht allzu generös ausfällt, so dass Spezialpreise anderer Airlines für Flüge nach Äthiopien einen nicht erteilten Rabatt durchaus aufwiegen und übertrumpfen können.

Illegalität hin oder her, mit Platz 2 gleich hinter der Kaffeeproduktion ist der Anbau von Kath in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige Äthiopiens herangewachsen. Gehandelt wird es oftmals auf den Straßen. Stoppt der Minibus, dauert es keine Sekunde und die die Händler stecken einem das Büschel direkt ins Gesicht.

Am ehesten würde sich Kaiser Fasilides wohl im Grabe umdrehen, wenn er wüsste wie seine Landsleute (die durch die Bank weg fairen Frauen muss man hier ausklammern) versuchen die Touristen auszunehmen. Hartnäckiger und penetranter als ein im Bahnhof Friedrichstrasse Barclaycard aufschwatzender Türklinkenputzer geben zum Beispiel Kinder ihr Bestes, um mit an den Haaren herbei gezogenen Märchen die Situation in der Schule zu skizzieren. Das diese alles andere als rosig ist und das Kind den Reisenden dann auch in einen Buchladen schleift und ein Schulbuch gekauft haben möchte, ist klar und passt auch ins Bild. Was der Besucher allerdings nicht sieht: ist der Handel besiegelt, kehrt das Kind in den Laden zurück, das gleiche Buch landet wieder im Regal und der ergaunerte Profit wandert in die eigenen Taschen. Wohlgemerkt: nur die Jungs ziehen solche Nummern ab, die Mädchen und Frauen halten sich da raus. Das beste Bakschisch ist übrigens ein Kugelschreiber; der lässt nicht nur Kinderherzen höher schlagen.

Freunde meiner Reisebegleiter sponsern eine Gruppe von Studenten in Lalibela. Es ist schon etwas merkwürdig, wenn die Studenten jeden Tag in der besten und vor allem wechselnden Garderobe erscheinen, aber nach dem studierten Wissen befragt nicht wirklich antworten können. Vorsicht auch bei frei angebotener Hilfe. Auch wenn man nicht direkt dafür bezahlt, so wird es im Folgegeschäft mit eingepreist. So steigt z.B. für ein vom Einheimischen herangewunkenes Tuk-Tuk der Fahrpreis abrupt von 10 auf 30 Birr; Einheimischer und Tuk-Tuk-Fahrer machen gleiche Sache und man selbst guckt ins Rohr.

Die Versorgung mit Lebensmitteln in Debark verlief nicht anders. Allein die Anwesenheit des Guides und sein Eingreifen in den Handel kosteten uns einen Aufpreis von gut 80%. Sicherlich muss man dies vorm dem Hintergrund relativ großer Armut sehen und es ist auch nicht von Millionenbeträgen die Rede, die latente Tendenz zu Betrug und Verarsche trübt das Urlaubserlebnis auf zwischenmenschlicher Ebene allerdings erheblich. Hätte ich nicht ein anderes Äthiopien erlebt, z.B. das der Afar und das der mitunter sehr hübschen und durchweg ehrlichen äthiopischen Frauen, dann würde ich stark daran zweifeln dieses Land ein zweites Mal zu besuchen. Neben den unzähligen ignoranzwürdigen “Hey Mister!”-Rufen gibt es glücklicherweise auch 10% ehrliche Menschen, die einen entweder vorher auf die Kosten einer Leistung hinweisen, oder aber einfach von Natur aus gastfreundlich und rechtschaffen sind.

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