Mount Ruapehu – Über den Wolken Nordneuseelands

Der Mount Ruapehu bildet das südliche Ende der Taupo Vulkanzone und des Tongariro Nationalparks, eine Region, die die neuseeländische Nordinsel nicht nur prägt, sondern fast schon definiert. Mit stattlichen 2797 Metern ist er gleichzeitig der Leuchtturm, sprich die höchste Erhebung der Nordinsel, die man mühelos von weitem ausmachen kann. Sein Krater ist zerfurcht, beherbergt einen wunderschönen Kratersee und vulkanisch ist er alles anderes als erloschen. Seine Ausbrüche kommen ohne Vorwarnung und äußern sich meist in heißen vulkanischen Schlammlawinen, so genannten Laharen.

Eigentlich beginnt dieser Aufstieg in Paraparaumu, einer Stadt mit unaussprechlichem Namen im Süden der Nordinsel, denn frisch von der Fähre von Picton nach Wellington gekommen, wollte ich eigentlich die Vogelwelt Kapiti Islands anschauen. Des unverschämten Preises für die Überfahrt wegen habe ich das geknickt. Ja so ist Neuseeland geworden, es zieht seinen Besuchern erbarmungslos das Geld aus den Taschen. Das, sowie das gute Wetter, nahm ich zum Anlass gen Tongariro zu fahren. Da die Sonne dort angekommen bereits ihren Tageszenit überschritten hatte, kam der zeitintensive aber wunderschöne Tongariro Alpine Crossing an diesem Tag für mich nicht mehr in Frage und irgendwie schien mir der Nachbar des Vulkankomplexes, der Mount Ruapehu eh verlockender.

Viele Höhenmeter macht man bereits mit dem Sessellift gut. Auf circa 2000m angekommen, gehen die meisten Besucher aber eher in Neuseelands höchstes Café denn ernsthaft weiterzulaufen. Die fast 800 Höhenmeter zwischen Sessellift und Gipfel sind allerdings eklig. Ich liebe Vulkane, wenn nur nicht immer der Auf- und Abstieg wäre… ;-) Erst sind es durch Gletscher geglättete nasse Felstafeln, dann macht einem Sand gemischt mit Schiefergebröckel den Aufstieg „schmackhaft“ bis das Terrain schließlich in schroffes vulkanisches Gestein und steilen Fels übergeht. Alle Nase lang dringen in atemberaubendem Tempo dichte Wolken ein. Dann irrlichtert man vielmehr den Berg hinauf, wie eine Motte ins Licht.

Doch irgendwann erreichte ich trotz aller Mühen den gletschergefüllten Kraterrand und auf dem Nebengipfel Te Heuheu stehend eröffnete sich mir das grandiose Panorama eines schroff gestalteten vulkanischen Kessels, dessen Randbereiche nicht unterschiedlicher gestaltet sein könnten und in dem sich ein herrliches Intermezzo zwischen Sonne und Wolken abspielte. Man steht förmlich am Abgrund der Welt, auf einer Wand, deren steiles Abfallen direkt unter den eigenen Füßen den Atem stocken lässt.

Dort oben wirft einem das Klima die gesamte Bandbreite seiner Erscheinungsformen entgegen. Alles ist möglich, von stahlblauem Himmel bis hin zur dicksten Wolkensuppe die den Rest der Welt erfolgreich versteckt und von starken Winden sowie durchsetzt mit Hagel mir entgegen gepeitscht wird. Mit fortschreitendem Nachmittag aber schickte die Sonne dann mehr und mehr ein herrliches Streiflicht durch die immer größer werdenden Wolkenfenster in jenen Kraterkessel der sich zwischen den drei Gipfeln des Tahurangi, Te Heuheu und Paretetaitonga auftut.

Die Kraterrandbereiche schießen steil nach unten und sind, wenn man auf ihnen steht, mit Vorsicht zu genießen, denn am Nachmittag hat die Sonne den Frost vielerorts angetaut und ist es glitschig hoch drei bzw. der Boden bröckelt einfacher unter den Schuhen weg. Bereits die allererste Bruchkante bietet aus der Ferne betrachtet einen herrlichen Kontrast: Schneebedeckt und mit mehr als mannshohen Eiszapfen besetzt, steht sie am nordöstlichen Kraterrand, umgeben von dichten Wolken, die ab und an einen Blick auf das Tal zulassen. Beeindruckend sind auch die Klippen namens Cathedral Rocks am östlichen Kraterrand, die wie drei abgebrochene Zähne, drei Zinnen aussehen und einem die Dolomiten ins Gedächtnis rufen.

Das umgebende Gestein ist sehr farbenfroh und erinnert mich sehr an meine letztjährige Exkursion zum Mutnowski Vulkan auf Kamtschatka. In der Ferne kann man eine Schutzhütte ausmachen, die vor dem Hintergrund scharfer Felsen und dunkel-drohender Wolken droheumso schutzbietender aussieht. Wie eine große Serpentine zieht mich der Kraterrand auf dem ich „tanze“ genau dort hin, zu genau jener Hütte. Vielleicht ist sie ja offen und ich kann mir das Aufstellen des Zelts sparen. Pustekuchen. Das Öffnen der Hütte ist unter Androhung von Strafe verboten, sie darf wenn überhaupt nur im Notfall genutzt werden. „Witzig“ daran ist, dass man bereits im körperlich gesunden Zustand die Hütte nicht mal ansatzweise geöffnet bekommen hätte. Wie also im Notfall das Ding öffnen? Mit ner Axt? Mit Sprengstoff? …?

Der Hügel auf dem die Hütte thront nennt sich The Dome und ist direkt neben dem Kratersee des Ruapehu gelegen. Deutlich kann man dort den Schwefelgeruch des Sees wahrnehmen. Der Status „volcanic unrest“ (vulkanisch unruhig) trifft den Zustand des Sees voll und ganz. Der blau schillernde Teich liegt im Süden des 3 Kilometer durchmessenden Kraterbereichs und genau er ist es, der die heißen Schlammlawinen (Lahare) produziert wenn der Vulkan aufstößt, so z.B. beim Tangiwai-Eisenbahnunglück das 1953 immerhin 151 Menschen das Leben nahm.

Ein solches Aufstoßen kann durchaus schnell geschehen, denn es bedarf nur der Wärme aus dem Erdinneren. Dazu muss das Magma noch nicht einmal bis zur Erdoberfläche steigen, es reicht die Fähigkeit Hitze transportieren zu können. Und Lava ist da leider sehr gut drin, man denke nur an den Lavasteingrill beim Steakhouse um die Ecke. Ein Folgeeffekt des Erhitzens ist das Zurückweichen des Permafrosts, der in solchen Höhen oftmals der Kleber ist, der die Welt zusammenhält.

Ein Vulkan (so auch ein normaler Berg) kann also durch aus dem Leim gehen ;-) Passiert das, können massive Gesteins- und Geröllmengen zu Tal rutschen ohne das Magma ausgetreten ist. Neueste Forschungsergebnisse beschäftigen sich mit derartigen Hitzetransfers und führen Beweise ins Feld, mit denen z.B. erklärt werden kann warum der eigentlich erloschene Chaiten in Chile so plötzlich und dermaßen heftig plinianisch eruptierte.

Doch zurück zum Ruapehu, wo der Abend gekommen und es an Zeit ist, das Zelt aufzustellen. Die Wetterrichtung ist klar, von West nach Ost, und so stelle ich meinen portablen Unterschlupf in den Windschatten der Hütte. Der abendliche Mix aus Sonnenlicht und Wolken ist genial. Die Kontraste und Farben, der dramatische Hintergrund und das Spiel der Wolken rund um die vulkanische Erhebung ist einfach nur ein Augenschmaus. Als Fotograf muss man eigentlich nicht viel tun außer den Auslöser zu drücken und irgendwie nicht vollends auszuflippen, denn Mutter Natur sorgt für alles: motivische Vielfalt nebst Licht, das nicht von dieser Welt erscheint.

Das Restlicht der Sonne kitzelt die Farben aus dem Kratergestein. Natürlich ist schwefeliges Gelb mit von der Partie aber auch eine satte Portion diverser Metalloxide. Auch zeichnet das Licht die Strukturen des verdunstenden Wassers nach, das in kleinen Dampfsäulen vom Wind getrieben über den warmen Kratersee tanzt. Dann sinkt die Sonne weiter, neue kompakte Haufenwolken fluten den Kraterkessel vor zart-orangem Firmament. Dieser kurze Moment brennt sich ins Hirn. Kaum aber das die Sonne gänzlich verschwunden ist, fällt das Thermometer merklich.

Eigentlich wollte ich den Kratersee ja noch bei Mondschein und mit dem Sternenhimmel aufnehmen, aber schnell wird klar, ich muss ins Zelt und den Daunenschlafsack auf Temperatur bringen sonst bekomme ich hier oben ein mittelschweres Problem. Kein Wunder, der Ruapehu steht exponiert auf weitem flachem Land und so reagiert sich in Sachen Wetter so Einiges dort oben ab wovon man im Tal nicht einmal einen Hauch spürt. Verdammt, mein Bauchgefühl hatte mal wieder Recht. Die Wolken sanken ins Tal, der Gipfelbereich Es wurde kalt, richtig kalt, um nicht zu sagen arschkalt… Bei ca. -12 Grad und Böen um die Windstärke 7 gefror die Feuchtigkeit meines Atems umgehend in meinen Barthaaren und später auch am Innenzelt sowie Gestänge und auch auf meiner Brille verewigte sich ein Film vereisten Atems.

In regelmäßigen Abständen erzeuge ich mit dem gesamten Körper Reibungswärme, die mein Daunenschlafsack exzellent hält, wenn da nur nicht dieser abartige Wind wäre. Er rüttelt trotz des Windschattens der Hütte ordentlich am Zelt, als würde eine Fußballmannschaft nach dem Spiel nicht in die Dusche kommen. Er kühlt das Zelt aus und an Schlaf ist bei einer derartigen Geräuschkulisse eh nicht zu denken.

Ab und an gluckert der See. Damit ist nicht so ein oberflächlich blubberndes Plätschern gemeint sondern eher ein tief aus dem Berg kommender Rülps, als würde man weit hinten in der letzten Darmwindung eine Wagenladung Kohl verdauen und sich das entstandene Biogas im Bauch vergnügen. Für genau solche Momente steht die merkwürdige Hütte dort oben. Sie beherbergt Messinstrumente um die Aktivität des Vulkans aus der Ferne beobachten zu können. Was nur mögen die Leute am anderen Ende des Seismometers wohl gedacht haben, als ich nah der Hütte meine Heringe einschlug? ^^

Nach einer Nacht des fröstelnden Wachschlafes fiebere ich kurz vor sieben Uhr morgens dem Klingeln des Telefons entgegen. Nicht nur um den Sonnenaufgang fotografieren zu können, sondern vielmehr der wärmenden Kraft unseres Zentralgestirns wegen. Aufgestanden und einsatzbereit habe ich alle Klamotten an: fünf Layer, drei davon aus Merinowolle, ein Fleece, dann eine winddichte Jacke und trotzdem ist mir den ganzen Morgen über arschkalt.

Dafür aber hat sich das Durchhalten gelohnt denn am Morgen danach ist die Sicht Weltklasse und ich kann selbst den 130 km entfernten Mount Taranaki sowie den dahinter liegenden Küstenabschnitt derart mühelos ausmachen, als stünde er neben mir. Ähnliche Sicht und vor allem jenes Licht sieht man sonst nur aus dem Flieger, wenn die Sonne aufgeht während man nicht schlafen kann.

Halleluja, noch nie habe ich mich so sehr über den heißen Planeten gefreut…! Endlich schiebt sie sich gülden über den Horizont und flutet den Himmel. Ihr Licht ist rot-orange und gleißend wenn man in ihre Richtung schaut. Alle Wolken schweben gute 1500 Höhenmeter weiter unten und so kann die Sonne ihr Farb- und Lichtspiel voll entfalten, bzw. die Oberseite der Wolken wirkt als Reflektor.

Mittlerweile kann man auch den Gipfel und die Konturen der benachbarten Vulkane Ngauruhoe und Tongariro man erkennen, was gestern der dichten Wolken wegen nicht mal ansatzweise möglich war. Ob der Höhe des Ruapehus wirkt der Ngauruhoe fast schon wie ein Zwerg. Klasse ist auch, dass man von hier oben den durch und durch vulkanischen Charakter des näheren Umlands mitbekommt. Überall sind kleine ehemalige Krater und Schlackekegel auszumachen.

Ich bin dankbar so etwas mit eigenen Augen miterleben zu dürfen, genieße es, packe aber dennoch so langsam zusammen und mache mich auf den rutschigen Weg ins Tal denn meine Finger sind bereits ein wenig blass und geschwollen, was für Erfrierungsgrad eins spricht…

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