Sankt Petersburg – Venedig des Nordens

Anmutig säumt die nördlichste Millionenstadt der Welt die Ufer ihrer geografischen Aorta, der Newa. Sankt Petersburg war schon immer der eigentliche Sitz und Machtzentrum des russischen Zarentums. In der Innenstadt ist dies deutlich zu spüren, ja fast schon real existierend. Real existierend prägte dann der Kommunismus über viele Jahre lang Gesicht und Mentalität der zweitgrößten Stadt Russlands. Das ehemalige Petro-, dann Leningrad ist es locker wert mehrere Tage lang erkundet zu werden, da hier eine einzigartige Historie auf eine außergewöhnlich prunkvolle Architektur und Kultur trifft. Angesicht derartigen Pomps ist es nicht verwunderlich, dass im Jahre 1917 die hungernde Bevölkerung Russlands aufbegehrte und dem Protzen einen bis dahin in der Weltgeschichte einmaligen Riegel vorschob, den Kommunismus. Trotz aller historischer Verwurzelung ist die nördlichste Millionenstadt auch in der Gegenwart angekommen, mit topaktuellen Events wie z.B. dem Fortdance Festival (-> hier gibt’s meinen fotoreichen Bericht dazu).

Auch wenn die russischen Sommertemperaturen nicht mit denen der italienischen Lagunenstadt konkurrieren können, so ist das Prädikat Venedig des Nordens durchaus zutreffend. Keine Stadt außerhalb Westeuropas wirkt “europäischer”, keine Stadt des Nordens ist derart liebevoll von Wasseradern, kleinen Gassen und Brücken durchzogen wie Sankt Petersburg. Doch spätestens wenn die Oberleitungen der Trolleybusse die Regie übernehmen, gewinnt das Stadtbild dieser “europäischen” Exklave eine gewisse russische Eigendynamik.

Während der ersten Schritte durch die Straßen St. Peterburgs kamen auch langsam die Erinnerungen an das einst gelernte, aber nicht so oft gebrauchte russische Spezialvokabular wieder hoch. Памятник (pamjatnik), das Monument – замок (samok), das Schloss – собор (sobor), die Kathedrale – извините мне пожалуйста (iswinitje mnje poschalista), entschuldigen sie bitte, und so weiter und so fort… Aber man trifft auch interessante Anglizismen im Stadtbild wieder. Durch die kyrillische Schrift gewinnen diese noch zusätzlich an Kuriosität.

Piter, wie die Stadt von den Einheimischen liebevoll genannt wird, liegt auf dem 60. Breitengrad und klopft an die Tür der arktischen Region, liegt es doch auf gleicher Höhe wie die Südspitze Grönlands oder das südliche Alaska. Um die Sommersonnenwende kann man hier ein Schauspiel der Extraklasse erleben, die weißen Nächte. Schon Dostojewski entzückte dieser Zustand fehlender nächtlicher Totalverdunkelung. Es ist wie eine ewig dauernde Blaue Stunde. Leider sind die Hotelpreise dieser Zeit des Jahres, Mitte Juni bis Mitte Juli, mit durchschnittlich 100 Euro je Nacht in einem normalen 2/3-Sterne Hotel exorbitant hoch. Wer den internationalen Hotel-Konzernen kein Geld in den Rachen werfen will, dem empfehle ich private Vermieter.

Die Stadt ist sehr weitläufig. Ohne Probleme kann man pro Tag seine 15km per Pedes zurücklegen. Allein die Hauptmagistrale Newski Prospekt ist gute 4km lang. Entlang jener finden sich auch schon die ersten beiden Sehenswürdigkeiten. Zum Beispiel die mit ihren weitläufigen Kolonnaden direkt am Newski residierende Kasaner Kathedrale (Казанский Cобор), erbaut von Andrej Worochin. Der Bau mit seiner 71m hohen Kuppel erinnert sofort an den Petersdom in Rom. Und dies sogar beabsichtigterweise, denn als Zar Paul I. aus Rom wiederkam, stand seiner Weisung nach nichts anderes als der Petersdom Model für diesen Sakralbau.

Ein wenig weiter nordöstlich der Kasaner Kathedrale, direkt am Gribijedowa Kanal (Канал Грибоедова), liegt ein wenig versteckt die Auferstehungskirche (Церковь “Спаса на Крови”) mit ihren unübersehbaren Zwiebeltürmen. Für die obligatorischen 300 Rubel kann dieses Museum auch von innen bestaunt werden. Sie wurde auf dem Blute Alexanders II. errichtet, der am 1. März 1881 an dieser Stelle einem Attentat zum Opfer fiel. Der Innenraum ist mit zahlreichen farbenreichen Mosaiken byzantinischen Stils geschmückt, de facto ist keine freie Fläche unbemalt. Das wirkt geradezu surreal, wenn sich verdeutlicht, dass zu Sowjetzeiten diese Kirche altrussischen Stils als Kartoffellagerhaus missbraucht wurde.

Ähnlich der Auferstehungskirche, bunt und facettenreich, präsentiert sich die Isaak Kathedrale (Исаакиевский Cобор), welche jedoch um einige Nummern größer als ihr zwiebeltürmiges Pendant ist. Der knapp 14000 Menschen fassende Sakralbau ist im Inneren großflächig durch glatten Marmor, Voll- und Halbedelsteine verziert. Die Erbauung der größten Kirche Russlands und zugleich größten orthodoxen Kirche weltweit oblag Architekt Auguste de Montferrand und dauerte 40 Jahre (1818-58), wobei mehr als eine halbe Million Leibeigene eingesetzt wurden. Die Kathedrale wird durch 112 massive Granitsäulen gestützt und geziert, die einzeln bis zu 114 Tonnen wiegen.

Ein wenig abgelegen im Nordosten des Stadtzentrums gibt es eine weitere Sehenswürdigkeit zu bestaunen: das liebevoll angelegte Ensamble der klassizistischen Smolnij-Kathedrale (Смольный Cобор). Die flache Bebauung lässt die weißen Kuppeln und deren vergoldetete Kreuze als auch ihr leuchtend blaues Antlitz weithin sichtbar aufblitzen. Begonnen wurde der Bau der als Schule für adlige Mädchen dienen sollte bereits 1748, vollendet wurde er jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts unter Nikolaus I. – Unweit der Smolnij, de facto zu ihren Füssen, trifft der aufmerksame Beobachter erneut auf ein hautnahes Stück Geschichte: den Platz der “Diktatur des Proletariats”, welcher vom Park her durch Marx-, Engels- und Lenin-Büsten “überwacht” wird.

Die Newa (Нева) ist in Piter allgegenwärtig. Der Hauptstrom ist fast einen halben Kilometer breit, während ihr weit verzweigtes Kanalnetz maßgeblich das Stadtbild prägt. An ihren Ufern, besonders an der Peter-Paul-Festung (Петропавловская Крепость), kann man wunderbar entspannen und dem regen Treiben auf dem Wasser zuschauen – Oststrandfeeling pur. Nicht zuletzt ziehen die Tragflächenboote die Blicke auf sich, rasen diese Raketa genannten Ungetüme doch mit bis zu 60 km/h über den Fluss.

Die Newa ist nicht nur breit sondern auch tief. Wie in Moskau, so sind auch die Metro-Stationen Piters eine Sehenswürdigkeit für sich. Endlose Rolltreppen befördern endlose Massen von Menschen auf ein Niveau von teilweise 100m unter dem Meeresspiegel, des hohen Tiefgangs der Newa wegen. Manchmal dauert die Reise auf der Rolltreppe sogar satte 2 Minute. Etliche U-Bahn-Stationen sind mit Schotten ausgerüstet, falls Wasser eindringen sollte. Zu Sowjet-Zeiten wurde diese Schutzmöglichkeit jedoch auch anderweitig genutzt: als unterirdischer Riesenbunker im Falle eines US-Amerikanischen Nuklearangriffes.

Auf der nördlichen Seite der Newa, wo sich der Hauptstrom das erste Mal verzweigt, ist er verankert: der Panzerkreuzer Aurora (Аврора), das Symbol der großen russischen Oktoberrevolution schlechthin. Der Kreuzer gab mit einem Platzpatronenschuss das Startsignal für die Erstürmung des Winterpalais, dem Hauptanwesen der russischen Zare, welcher heute Teil der Eremitage ist.

Schräg gegenüber, auf der anderen Flußseite, findet sich dann auch besagtes Winterpalais in illustrer Gesellschaft wieder, eingerahmt von der Admiralität (Адмиралтейство), dem Schloss- bzw. Alexanderplatz (Дворцовая Площадь) und dem Generalstabsgebäude mit seinem Triumphbogen (Арка Генерального Штаба). In der Mitte steht die Alexandersäule (Александрийский Столп), die an den Sieg Russlands über Napolean erinnern soll. Heute beherbergt das Winterpalais unter anderem die weltberühmte Eremitage (Эрмитаж) und deren unermeßlichen Kunstschätze.

Auf der Karte ein ordentliches Stück (ca. 25km) weiter links findet man den am finnischen Meerbusen gelegenen Peterhof (Петергоф). Das russische Versailles ist eine herrliche Parkanlage mit vielen kleinen und großen Springbrunnen und Kaskaden. Die wohl beeindruckendste ist der Samsonbrunnen, der neben seinem Hauptdarsteller Samson im Zentrum, viele andere mit Blattgold überzogene Figuren hervor zeigen kann. Weiter östlich vom Hauptgebäude des Peterhofes findet man den Marli Palast mit seinen Baumkolonnaden und dem künstlich angelegten rechteckigen See.
Jean-Baptiste Leblond ist der Mann hinter den wunderschönen Gärten, Alleen und der Fülle von Fontänen. Peterhof war einst nur eine Stelle, an der Zar Peter I. auf der Strecke Kronshtadt <-> Peter-Paul-Festung rastete.

Reisetipps

Das Visum direkt bei der Botschaft zu beantragen bedarf Zeit, örtliche Nähe sowie Durchsetzungsvermögen. Letzteres nicht zuletzt nur gegenüber dem jeweiligen Sachbearbeiter, sondern auch den Mitmenschen im Konsulat gegenüber. Denn diese ist zu jeder Tageszeit mehr als gut gefüllt und Ellenbogenmentalität ist an der Tagesordnung. Wesentlich stressfreier und für nur zusätzliche 10 Euro geht es über Visa-Dienste, in meinem Falle über das Berliner Reisebüro Alex in der Mansteinstrasse. Bei Ankunft in Russland, so auch in St. Petersburg, gilt trotz der weiterhin vorhandenen Migrationskarte einer der ersten Gänge der Registrierung des Visums. In vielen touristischen Fällen wird dies vom Hotel übernommen und kostet maximal 550 Rubel. Seit dem 15. Januar ist dies gegen eine Gebühr von 118 Rubel auch auf den Postämtern möglich. Weitere Informationen auf Russisch gibt es hier.

Komplexere Fotoausrüstungen sollten bei der Einreise der sicherheitshalber deklariert werden.

Leider muss auch das Thema Kriminalität erwähnt werden. Keine Stadt der Welt ist frei davon. Betrachtet man allerdings die Fülle als auch die Orte an denen ich mich schon aufhielt, dann ist es schon krass, dass ausgerechnet in Sankt Petersburg das dreisteste Manöver versucht wurde. Inmitten der Menschenmenge auf dem Newski Prospekt wollte mich jemand ablenken, stellte sich mir de facto in den Weg und pries irgendwelche schlecht gedruckten Postkarten an. Leute wie diese haben bei mir eh null Chance, jedoch reichten diese 2-3 Sekunden aus, um meinen verschlossenen Fotorucksack während ich lief unbemerkt zu öffnen und mir immerhin das 100-400er Objektiv zu klauen. Nur durch beobachten der Schatten hinter mir, eine blitzschnelle Reaktion und ein wenig körperliche Gewalt, ist das 100-400 heute noch mein Eigen. Also, an Orten mit vielen Menschen aufgepasst! Das gilt auch für die Metro.

Aber zurück zu einem nicht unwichtigen Tipp, dem Weg vom Flughafen Pulkovo in die Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Nur von Pulkovo 2, dem internationalen Airport, fahren die Marschrutkas Richtung U-Bahn-Station Moskovskaja (Linie 2) ab. Ein Marschrutka ist ein auf einer festen Route verkehrendes Sammeltaxi, meist ein Van. Von der Moskovskaja kann nun die Reise mit der Metro in die Innenstadt angetreten werden. Anstatt von elendig vielen Jetons zu kaufen, empfiehlt es sich eine Zeitkarte zu erwerben. Diese ist 7 oder mehr Tage gültig und kann für 10 oder mehr Fahrten gebraucht werden. Obendrein ist die Fahrt ein paar Cent billiger.

Verwendete Fototechnik: Canon EOS 1D Mark III, Canon EF 24-70 2.8L, Canon EF 50 1.4, Sigma EX 12-24, Canon EF 100-400L.

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