Mondänes Marraca$h

Dort, wo unsere Störche in Ruhe ihren Winterurlaub verbringen, geht es im Reich der Menschen dafür umso wuseliger und hektischer zu. Von den schneebedeckten Gipfeln des Hohen Atlas umzingelt und mit exotischen Palmen gespickt, so präsentiert sich Marrakech, die schlichtweg bekannteste Stadt Marokkos. Ein Ort, an dem man wohl am besten all seine Sinne in Kontakt mit urigem Orient und gängigen Klischees bringen kann.

Drei Stunden mit dem Zug braucht es von Casablanca in die Metropole des Südens. Auch hier lebt gut eine Million Menschen, verteilt über das Gebiet der Neustadt (Ville Nouvelle) und der Altstadt (Medina). Zentrum des Ganzen ist der weltbekannte Gauklerplatz, oder Djemaa el-Fna, wie er von den Einheimischen genannt wird. Allabendlich und ungeachtet ob Wochenende oder normaler Arbeitstag, wiederholt sich ab den frühen Abendstunden eine Show, die sicher touristisch orientiert, allerdings auch integraler Bestandteil der lokalen Kultur ist. Während man neugierig den Wahrsagern, Schlangenbeschwörern und Henna-Malerinnen über die Schulter guckt, dauert es nur einen Wimpernschlag und man hat einen verlausten, Minirock tragenden Berberaffen auf den Schultern, dessen Herrchen bereits vor dem Sprung auf die Schulter lauthals 10 Dirham einfordert. Keine zwei Meter weiter kreuzt jemand deinen Weg, schlägt ein Rad und verlangt abermals 10 Dirham.

Unterbrochen wird das Ganze nur durch das unkoordiniert erscheinende Lautengeplärre des Schlangenbeschwörers, dessen reptile Hauptattraktionen eingerollt unter den Holzabdeckungen zu warten scheinen. Kaum ist der Deckel abgenommen, springt der Schlangenkopf wie mechanisiert in die Höhe. Ähnlich wie die Schlange von Lautenklängen umhüllt wird, umgarnt eine ganz spezielle “Duftnote” die eigene Nase, vermischen sich doch abgebranntes Patchouli, Essendüfte und Eselkacke zu einer unvergesslichen Melange.

Ja, Essensgeruch, denn zur Hälfte ist der Platz vor allem eine große Open Air Küche. Im Zentrum des großen Getümmels stehen die Grillstände wo lauthals Köfte (Lammgehacktes), Hähnchenspieße und Couscous angepriesen wird. Während Touristen oft Gegrilltes aller Art bevorzugen, genießen die Einheimischen eher gesottenen Hammelkopf, bzw. dessen weißes Inneres. Kaum hat man den ersten Lammspieß am Wickel, findet man sich plötzlich in einer Rauchschwade wieder. Hassan, Grillstand Nummer 29, scheint mal wieder den Platz abbrennen zu wollen… Fast einen Meter hoch lodern die Flammen über dem Rost und geben dem darauf liegenden Fleisch den letzten heißen Kuss, bevor es in hungrigen Mündern verschwindet.

Kurz nachdem Hassan die Flammen bis zur nächsten Hitzeeskapade hat zügeln können, vernimmt man die Rufe des Schneckensuppenverkäufers Ismail, dessen Appelle es allerdings schwer haben sich gegen das allgemeine Stimmengewirr zu behaupten. Dennoch hört man klar das raschelnde Klimpern heraus, wenn er die Kelle schwingt und ein Schälchen Suppe über die Theke geht. Der Preis dieses Erlebnisses hat es allerdings in sich. Man bezahlt locker das Doppelte dessen, was man in den Gassen der Medina hinblättern würde. Oder aber anders, man bekommt weniger fürs Geld. Just nachdem man sich von 130 Dirhams getrennt hat, vernimmt man auch schon das nächste “Excuse me!”. Diesmal ist es der Saftverkäufer Mohamed, der inmitten von Orangenbergen steht und einem den frisch gepressten O-Saft in die Hand drückt bevor man auch nur ansatzweise Ja oder Nein sagen konnte.

Derart gestärkt kann dann die Südkurve des Platzes in Angriff genommen werden. Während der Norden des Platzes von den hell erleuchteten Boutiquen des Souks dominiert wird, ist der Süden der Spielplatz der Gaukler an sich. Hier geben sich Trommler und Bauchtänzer die Klinke in die Hand und versetzen die Menge mit afrikanisch präzisen Rhythmen in tribale Ekstase. Fotografen und kleine Videofilmer bleiben nie unentdeckt. Es dauert meist keine halbe Minute und man wird zur Spende aufgefordert. Wer sich dann allerdings geizig wie der schottische Sparkassenverband gibt, für den schließt sich die Menge und die Magie des Moments ist verflogen. Beobachten lässt sich diese wirbelnde Menschenmenge am besten von einem Balkon der umliegenden Restaurants, wie zum Beispiel dem Café Glacier.

Tagsüber übernehmen die Basare (Souks) die Regentschaft über die Altstadt. Je näher man dem Djemaa el-Fna kommt, desto schneller steigen die Preise, desto charmanter muss man sich beim Feilschen durchsetzen. Grundregel: immer erst einmal 60% abziehen, dann schau’n mer mal… Auch hier in Marrakech beginnt man den Tag am besten mit ein zwei Crêpes und frisch gepresstem Orangensaft. Das ist schon mal eine gute Ausgangsbasis um den wahren Lebensstil der Marrakechi, das Leben abseits der touristischen Einfallsrouten, kennenzulernen. So zum Beispiel im Souk des jüdischen Viertels, unweit des Palais al-Badi. Dort gibt es den mit Abstand besten Kaffee, sowie preiswerte Gewürze von sehr guter Qualität und das begehrte Arganöl. Unweit des Souks befinden sich die Werkstätten der Laternenmacher. Die Meister feiner Kupferstecharbeiten und farbiger Leuchter werden von oben neugierig beäugt. Weißstörche nisten auf den Mauern des al-Badi Palastes und während sie auf günstige Aufwinde warten, schauen sie sich das menschliche Treiben in den Gassen an.

Die wahren Schätze Marrakechs bleiben dem ungeübten Auge verborgen. Wahre Pracht findet man nicht in den Palästen, sondern in den Medressen bzw. in gepflegten privaten Riads. Hier trifft man auf gelebte Kultur und lebendige Architektur, während z.B. im Vergleich dazu das Palais al-Badi eine mehr oder weniger nichts sagende Ruine ist. Wie schon erwähnt spielen die Souks eine nicht unwesentliche Rolle. Die nördlichen Souks sind der Touristennähe wegen teurer, allerdings auch aufwendiger gestaltet. In diesen Gewässern fischen die Faux Guides, die falschen Stadtführer, deren Dienste nicht selten in einem befreundeten Shop enden, wo der Druck zu kaufen immens groß werden kann. Hier kann einem auch schon mal ein “Fuck you Nazi!” an den Kopf geknallt werden. Einfach ganz cool bleiben, das Gesagte ignorieren und seiner Wege gehen… Hier mal ein Bilderbeispiel typisch marokkanischer Abzocke :-)

Die Neustadt ist ganz klar westlich orientiert und für Orientfans eigentlich nicht wirklich interessant. Hier prägen mittlerweile Volksvergifter wie KFC oder McDonalds das Straßenbild, während nebenan das heißeste H&M Höschen über den Ladentisch geht. Im Vergleich zu Fès ist Marrakechs Medina lebhafter, allerdings auch spürbar touristischer. Verlaufen kann man sich hier zwar auch, aber so schnell und gründlich wie in Fès passiert das nicht. Die Altstadt von Marokkos Königsstadt Nummer 1 scheint auch das Ziel diverser armer Menschen zu sein. Die nach Almosen Bettelnden konzentrieren sich sichtlich in den Gassen der Medina. Die Rufe nach milden Gaben zusammen mit dem unermüdlichen Werben in den Souks kann sich schnell zu einem Paranoia auslösenden Spießroutenlauf entwickeln, der bleibendere Schäden zurücklässt als zehn Drückerkolonnen des Deutschen Tierschutzbundes.

Neben arabisch-nordafrikanischem Lebensgefühl gibt es natürlich auch die “ein oder andere” Sehenswürdigkeit. Will man diese besichtigen, so ist man allerdings oft gezwungen im touristischen Hauptstrom von Amis, Franzosen & Co. mitzuschwimmen. Zu den interessanten Stätten zählen die: Koutoubia-Moschee, die Gräber der Saadier, die Medersa Ben Youssef, die Palais al-Bahia als auch al-Badi und nicht zu vergessen der liebevoll angelegte Jardin Majorelle.

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