Eishöhlen und Fumarolen – Die vulkanische Seele Südkamtschatkas


Goreli – Gefangen in den Wolken

Die darauf folgenden Tage sind merkwürdig. Zwar werden wir Zeuge von sehr wunderschönen Sonnenuntergängen, allerdings bedeuten die darin involvierten dynamischen Eiswolken eine rapide Verschlechterung des Wetters, die dann auch prompt eintritt und das Camp im Hochnebel versinkt. Aus Ermangelung an Licht verschlägt es mich aus Neugier in eine Gletscherhöhle am Fuße des Mutnowski Vulkans. Das diffuse, durch die Eisdecke brechende Licht kitzelt die im Eis eingeschlossenen Farben heraus. Unglaublich schön, wie sich eisige Blau- und Grüntöne mit Lichtreflexen, Wassertropfen und Sandfarben mischen. Man kann Stunden dort zubringen, allerdings läuft man schnell Gefahr sich eine Erkältung einzufangen bzw. die Fotoausrüstung einem zu kalten, feuchten Klima auszusetzen.

Trotz des suboptimalen Wetters entschied unser Großer Vorsitzender am Nachmittag den Goreli Vulkan zu besteigen, um in der Nacht das Glühen des Gasaustritts und die dadurch rot eingefärbte Kraterwand fotografisch einzufangen. An sich ein sehr willkommenes Foto, allerdings zeichneten sich bereits während wir den Kegel erklommen drohende Wolkenfronten in nicht allzu weiter Ferne ab. Gefangen zwischen zwei dicken Wolkenschichten gestaltet sich das Fotografieren nicht allzu inspirierend und auch nur der mittlere Krater, der mit dem glühenden Gasaustritt und der großen Fumarole gestaltet sich so richtig interessant. Vor wenigen Jahren noch hatte der Goreli zwei pittoreske türkise Kraterseen, diese sind heute aber eher ein Schatten ihrer selbst und gerade noch so wasserführend.

Während wir auf dem Goreli rumkraxeln und die Atemmaske beim Durchqueren der Gaswolke gesundheitswichtige Dienste leistet, höre ich ein dumpfes lang gezogenes Wummern, als ob man direkt neben einem riesigen Subwoofer stehen würde. Das ist der Klang des Magmas das tief im Inneren des Bergs arbeitet. Gänsehaut pur, denn bis auf die markerschütternden Explosionen des Yasur hat bis dato kein Feuerberg diesen eigentlich immer präsenten vulkanischen Charakterzug derart phänomenal und plastisch rüberbringen können. Doch das Wetter kommt näher, der Mutnowski entschwindet bereits im dichten Grau und auch wir werden sehr bald von einer rapide absinkenden Wolke eingeschlossen.

Die Sichtweite ist so um die 50 Meter und die Dämmerung bricht herein. Der Wind frischt auf und peitscht einen fiesen Nieselregen von allen Seiten ins Gesicht. Der vulkanische Lehm wird zur unberechenbaren Schlitterpartie und Einigeln nebst Ansitzen macht bei diesen Bedingungen wenig Sinn. Jetzt wird die Allwetterkleidung zur buchstäblichen zweiten Haut und muss zeigen, was die Wassersäule wirklich abkann. Jetzt gilt es alle Leute auf Sichtdistanz beisammen zu halten und vom Vulkan runter zu kommen. Im Schein der Stirnlampen geht es über erodierten Lehmboden, der den Schuhen alles andere als guten Halt bietet. Hinzu kommen die zahlreichen scharfkantigen Steinbrocken über die man alle Nase lang stolpert. Ein falscher Tritt und man rutscht ab, wenn’s doof kommt dann sogar in die irgendwie immer vorhandene Felsspalte zur Linken (oder Rechten) und da die Anderen keine Disziplin wahren und teilweise schon bis zu 300 Meter weit vorgerannt sind, wäre man weg vom Fenster.

Doch wir kommen alle ohne größere Blessuren wieder im Base Camp an. Alles tropft, die komplette Kleidung wie Ausrüstung ist vom fiesen Nieselregen hart ins Gebet genommen worden. Nun ist erst einmal Pflegen und Trocknen angesagt. Der Ofen in unserer kleinen Hütte läuft auf Hochtouren, die Luftfeuchtigkeit darin gleicht fast einer Banja. Letzteres Vergnügen hatte ich in Jelisowo, wo Jewgeni Petrowitsch, der Mann von Galina, eine private Banja hat. Doch bevor wir wieder an den Ausgangspunkt unseres Abenteuers zurückkehren, machen wir am Fuß des erkalteten Vulkans Wiljutschinski (Вилючинский) Station wo heiße Quellen auf uns warten und als würde uns die Sonne ein dickes fettes „Ätsch!“ ins Gesicht schreien wollen sind die vorletzten zwei Tage vom Licht und Wetter her wunderbar. Derartiges Klima hätten wir andernorts mit Kusshand genommen. Aber man kann nicht alles haben.

Die Szenerie am Wiljutschinski, mit den Riesen Korjakski und der Awatscha im Hintergrund und einer wunderbar farbigen Bergtundrawiese im Vordergrund, wird eines der optischen Highlights meines gesamten Ritts durch Kamtschatka. Vielleicht auch, weil sich beim Fotografieren ein wenig Abschiedsschmerz und die Einsicht in die Bildkomposition schleicht, dass es rückblickend betrachtet nicht immer das typische Postkartenwetter sein muss um interessante Fotos zu schießen. Mit seinen klimatischen Herausforderungen erinnert Kamtschatka daran, dass es vor allem (wie eigentlich immer und überall) auf das fotografische Umsetzen der Stimmung vor Ort ankommt.

Sich diesbezüglich aber jedes Mal aufs Neue physisch als auch psychisch zu mobilisieren, verlangt eine Menge Energie, was die Fotos meiner Kamtschatka-Reise zu den bis dato am härtesten erarbeiteten macht. Den Tag lassen wir am Lagerfeuer ausklingen und spielen „Russische Mafia“. Kollege Marc hat allerdings wenig Spaß daran, da der Rauch des Lagerfeuers witzigerweise immer (!) in seine Richtung weht.

Noch einmal geht es in Jelisowo über den Markt um sich mit bestem geräucherten Wildlachs und frischestem Kaviar einzudecken, dann geht es auch schon wieder gen Moskau, mit TransAero, diesmal ohne größere Störungen. Den besten Kaviar (икра) gibt es übrigens bei Rita, die ein exzellentes Deutsch spricht. Am Stand gleich rechts daneben gibt es den besten Räucherlachs zu erstehen. Das sage übrigens nicht nur ich, sondern vielmehr Einheimische wie Alexej, Jewgeni, Galina, … :-) Kamtschatka ist Heimat vieler Lachsarten, doch nur der grandios schmeckende Silberlachs (Kischutsch, Кижуч) oder der noch bessere Königslachs (Tschawuitscha, Чавыча) werden von den Einheimischen gegessen. “Den Rest (die anderen Arten) bekommt der Hund!” frotzelt Alexej zwinkernd zurück.

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