Glaube versetzt Berge
Religion und Glaube sind in Damaskus sehr fühl- und spürbare Dinge, fallen einem Westeuropäer doch zunächst die teilweise sogar komplett verschleierten Frauen ins Auge. In Damas begegnen sich über 30 verschiedene Glaubensrichtungen und leben in der syrischen Hauptstadt in relativ friedlicher Koexistenz. Ein Beispiel führte ich ja bereits an, als ich Unwissender in fotografierender Weise den Betenden die Linie zur Südmauer der Omayyaden-Moschee “versperrte”. Ein anderes Beispiel hielt die Sayeda Roqqaya Moschee für mich bereit, wo während meines Damaskusbesuchs der Todestag des jungen Mädchens Sayeda Roqqaya bint Al-Hussain begangen wurde. Von überall her, aus Pakistan, dem Iran, aus London und dem Jemen waren schiitische Pilger angereist, um in diesem kleinen Gebetshaus nördlich der großen Omayyaden-Moschee zu trauern. Vor dem Eingang herrschte dichtes Gedränge auch die Gassen rund um die kleine Moschee waren mit Leuten verstopft.
Neugierig, jedoch zunächst die Schuhe ausziehend, steckte ich meine Nase in den Innenhof. Die Blicke der Menschen auf mich gezogen, kam mir ein Herr entgegen und fragte mich höflich, ob ich meinen Rucksack öffnen könnte. Angesichts der täglichen Horrormeldungen aus dem Irak, ist hier der Sicherheitsgedanke mehr als angebracht, und, viel wichtiger, höflich praktiziert. Kaum war das erste Eis gebrochen, erklärte man mir warum hier heute und morgen getrauert wird und welche Geschichte hinter dem Tod von Sayeda Roqqaya steckt. Sie ist die Tochter von Imam Al-Hussain, dem Chef der Märtyrer, einem direkten Nachfahren des Propheten Mohammed, was das Mädchen ebenfalls zu einer Erbin macht.
Während ich den Worten lauschte, kleideten sich viele Männer um, zogen sich ein weißes T-Shirt über, wobei die vielen Narben der Selbstgeißelung zu sehen waren. Die Männer stimmten in ein Lied ein und schlugen sich mit der flachen Hand auf die Brust. Dieser Rhythmus war noch weit außerhalb der Mauern der Moschee hörbar. Gefesselt von der zwischen den Fingerspitzen fühlbaren tief religiösen Atmosphäre, machte ich mich am Folgetag, einem Freitag, nochmals auf den Weg zu dieser kleinen Moschee. Am Tag des großen Gebets, wiederholte sich dieses Schauspiel mit noch mehr Anwesenden. Manche Männer ritzten sich mit Rasierklingen die Stirn auf und bluteten stark. Andere Männer zogen es vor sich den Rücken zu peitschen. Im Inneren saßen die Frauen, blickten auf den Raum mit dem Schrein der Sayeda Roqqaya und weinten bitterlich.
Diese Momente waren sehr intim. Verständlicherweise war es nicht erlaubt zu fotografieren. Da ich diese Intimität selbst erkannt hatte und sie durch meine Kamera auch nicht gefährdete, lies mich der Imam nach dem Gebet auch die Moschee fotografieren. Die Sayeda Roqqaya Moschee ist von teilweise atemberaubend filigraner Innenarchitektur, teilweise aber auch ein Meer von grobem Kitsch. Die Ornamentik So steht der Schrein in einem Raum, deren Wände mit tausenden kleine Farbpailletten beklebt sind. Ein permanent reizüberflutender Anblick. Nach dem Gebet kamen kleine Jungs auf mich zu und schenkten mir Bonbons. Sie freuten sich, dass ich mit dabei war, wurde mir gesagt.
Religion bietet den Menschen in diesem Teil der Erde Halt, da die Region erst seit kurzem einer einigermaßen stabilen Entwicklung entgegenschauen kann. Der Orient war oft genug Zankapfel der westlichen Großreiche. Egal ob Rom, Alexander der Große, die Osmanen oder aber US-amerikanische/britische Imperialisten, alle versuchten sie diese Region auszubeuten und den Handel unter ihre Kontrolle zu bringen. Für mich bedeutet Religion Menschen zu begegnen, sie steht für grundsätzliche Werte des Umgangs miteinander. Auch wenn ich selten aus religiösen Gründen ein Gotteshaus betrat, so hat die Religion mich, einen Außenstehenden, integriert und lernen lassen.
Verwendete Fototechnik: Canon EOS 20D, Canon EF-S 10-22, Tamron 17-50 f2.8, Tamron 28-75 f2.8