Singapur – Schnittstelle im Südosten Asiens

An der Nahtstelle zwischen südostasiatischem Festland und der Inselwelt Indonesiens sitzt Singapur. Mit 5,5 Millionen Einwohnern, lebend auf ~700km², ist es sowohl einer der kleinsten als auch am dichtesten besiedelten Stadtstaaten der Welt. Seit jeher war die Stadt ein Ort des Handels, bekannt unter Arabern, Indern, Chinesen und natürlich Malaien. Diese ethnische Durchmischung, als auch eine kompakte Bauweise, prägen ein nahezu klinisch reines Stadtbild, das neben automatisierten U-Bahnen  und luxuriöser Glas-Stahl-Architektur, kulminierend im Marina Bay Sands und seinem Infinity Pool, sowie historisch-religiöser Überbleibsel in Form von Hindu-und Buddha-Tempeln, einen interessanten Kontrast aufzubieten hat.

An der Bar direkt neben mir stehen vier Asiatinnen, die auch auf den zweiten Blick nicht von Lady Boys zu unterscheiden sind. Ihre Suche nach jemandem der ihnen Drinks ausgibt, verläuft jäh im Sande und so tauchen sie allesamt ihr Smartphone malträtierend in die Scheinwelt von Facebook, WhatsApp & Co. ein. „Finger weg!“ denke ich mir und spüle den Anblick der feminin angemalten Maskulin-Fratzen mit einem Cocktail aus Hakushu Whisky, Ingwer- und Orangensaft runter. Was für ein Drink…!

Der Barkeeper ist richtig gut und so erzeugen auch andere Eigenkreationen aus Thai-Basilikum, Wodka, Triple Sec und Zitrussäften ein wohliges Wow-Gefühl auf meiner Zunge. Die Mädels gegenüber – dieses Mal eindeutig als Mädels zu identifizieren – amüsieren sich ob dieses, meines Genusses. Schnell merken wir, dass wir Deutsche sind. Ob der Preislage der Cocktails greifen sie aber zum Bier, zu einem kleinen, was preislich immer noch deutlich über dem heimischen Niveau liegt. Alkoholisches ist in Singapur nicht billig.

Weiter hinten fläzt sich irgendein gut 60 Jahre alter glatzköpfiger indischer Geldsack ins Sofa. Seine Anwesenheit ist von den Versuchen geprägt, sich seiner gut 30 Jahre jüngeren, europäisch aussehenden (bezahlten?) Begleitung körperlich zu nähern. An der Bar ist mittlerweile gut was los. Das Ziel ca. 1 Milliarde US$ pro Jahr zu erwirtschaften sollte das Marina Bay Sands, gemessen an dem was hier über den Tresen geht und an Zimmerpreise von 300 Euro aufwärts, bald erreichen. Die Zimmer mit Blick auf die Gardens by the Bay sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Wer zahlt schon gern so viel Geld um dann vom unten verlaufenden, lauten Highway, bzw. nicht vorhandener Schallisolierung nachts gestört zu werden…

Der Infinity Pool auf dem Surfbrett-artigen Dach des Marina Bay Sands ist schon ne ziemlich geile Sache. Nach anfänglicher Zutrittsmöglichkeit für jedermann, kurz nach der Eröffnung, erhalten seit geraumer Zeit aber nur noch Hotelgäste Einlass. Immer noch an der Bar sitzend, leihe ich den Mädels aus’m Hunsrück meine Karte, so dass sie sich den Pool mal aus der Nähe anschauen können. Begeistert kommen sie zurück, denn von hier oben, 191 Meter über der Marina Bay, hat man einen atemberaubenden Blick auf den Singapurer Stadtstaat mit seiner illuminierten Glas- und Stahlkulisse des Financial Districts.

Hier mit einem Cocktail in der Hand lässig im Wasser rumzudümpeln und die Metropole von oben zu beobachten, hat etwas, auch wenn Singapur heute ziemlich dunstig ist. Klar kann man die Schicht dreckiger Luft erkennen verursacht von Straßenverkehr und den nah auf Reede liegenden Frachtern. Kaum ist die Sonne verschwunden, färbt dieser Smog das Restlicht des Tages surreal bleiern grau.

Zu abendlicher Stunde avanciert der Infinity Pool des Marina Bay Sands zur weltweiten Nummer eins im Selfie schießen und das Schwimmbad wird zum Defilee der Eitelkeiten. Ich überlasse die Szene den Selbstdarstellern und begebe mich in meinen Palast im 14. Stock. Die Mischung aus Jetlag und direkt vor dem Haus verlaufenden Highway (traurig aber wahr, ein mehrere hundert Euro kostendes Hotelzimmer ist diesbzgl. nicht schallisoliert) lässt mich unruhig schlafend in den nächsten Tag gleiten, der bereits um 4 Uhr morgens beginnt und mich dann später nach Chinatown führt, auch hotelmäßig.

Chinatown sowie das ehemalige arabische Quartier und Little India sind die ehemaligen Enklaven anderer Kulturen in Singapur, dessen ethnische Zusammensetzung im Wesentlichen aus Malaien, Chinesen und Indern besteht. Bis auf Little India und einer Ausnahme in Chinatown sind es allerdings Touristenfallen.

Mein Hotel liegt genau gegenüber eines Hindutempels in dem rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, eine Messe läuft. Dazu bläst jemand 24 Stunden am Tag in Begleitung eines hypnotischen Sitars vom Band auf- und abschwellend absolut notenfrei ins Shehnai. Untermalen tut dies ein lethargisch, alle 20 Sekunden die Glocke erneuet dreimal schlagender Hindu.

Was für eine Szenerie im alten chinesischen Herzen Singapurs, die indischer nicht sein könnte und die ich mir von allen Dingen zuerst anschaue. Erinnerungen an meine Indien-Reise werden wach und auch an den abgefahrenen Karni-Mata-Rattentempel in Deshnok.

In Chinatown selbst wird viel Krempel angeboten, teils sehr teurer. Wer die Spreu vom Weizen zu trennen vermag, der findet dennoch sein geschäftliches Heil. Ich z.B. gehe den Werbern von Silk of the Orient auf den Leim. Vor Ort vermag ich es diese Jungs zu steuern, Ihnen genau zu sagen wie der Anzug geschneidert werden soll, was vor Ort gut klappt, den Irrglauben aber dies funktioniere auch per Mailorder, bezahle ich mit einem Anzug, der eben genau die Fehler wieder aufweist die ich beim ersten Mal sofort entdeckte. Seid also vorsichtig bei Versprechen wie „Mail order is our excellence!“…

In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich die Chinatown Food Street mit ihren ehemals mobilen aber mittlerweile fest installierten Garküchen die den alten fahrbaren Dai Pai Dongs nachempfunden sind. Faktisch ist diese Kultur aus dem Straßenbild Singapurs vertrieben worden.

Viele dieser neuen Dai Pai Dongs kochen zweifelhaft, so bekommt man z.B. handelsübliche Spaghetti statt chinesische Nudeln und generell läuft man Gefahr, dass alles unter 12 SG$ eher der schnellen Instant-Küche entspringt. Frei nach dem Motto „Just add hot water“ landet so eher Lebensmittelchemie statt Nahrung auf dem Teller. Eine großartige Ausnahme ist der Noodle Man, der seine oberleckeren, frischen Gerichte zu einem unschlagbaren Preis anbietet.

Wer es gehobener mag dem empfehle ich das Ding Dong. Was sich zunächst nach einem Klingelton anhört, ist eines der besten Restaurants im Umkreis. Neben eigenen Cocktailkreationen überzeugt die frische asiatische Fusionsküche die sich nicht scheut erschwinglich auf höchstem kulinarischem Niveau zu experimentieren. Essen und speziell Alkohol ist in Singapur nicht billig.

Wird man bedient, wird die Rechnung automatisch 10% fetter. Auf diese Service Charge wird sehr selten hingewiesen. Will man gut essen, etwas trinken, dann darf man schon mal 50-75 Euro pro Kopf einplanen. In der direkten Nachbarschaft des Ding Dong finden sich entlang der Club Street viele Läden, die speziell am Freitag- und Samstagabend brechend voll sind; ohne Reservierung wird es schwierig.

Unweit diesem kleinem Kiez befinden sich zwei wichtige religiöse Zentren Singapurs, zum einen der große Buddha Tooth Relic Temple und sein Museum und zum anderen der taoistische Yu Huang Gong Temple in der Telok Ayer Street. Letzterer hat dem Zahn der Zeit getrotzt, allen Konflikten widerstanden und kann seit Dezember 2014 wieder besucht werden. Zwischenzeitlich haben die Mönche diese heilige Stätte aus Eigenmitteln restauriert.

Ein Ort der nicht kontrastreicher sein könnte, bietet er doch Stille in der Großstadt und einen interessanten optischen Gegensatz zwischen klassisch chinesischer Architektur und der Glas-Stahl-Onanie des Westens. Der große Buddha Tooth Relic Temple ist jünger und erst seit 2002 im Rennen. Nichtsdestotrotz ist auch er ein Hort der Andacht. Seine ausladenden, geschwungenen Dächer beherbergen im obersten Stockwerk eine große Gebetsmühle sowie unzählige Räume in denen noch unzähligere Buddha-Statuen zu besichtigen sind, darunter Ebenbilder die mehrere hundert Jahre alt sind.

Diese Überbleibsel asiatisch-buddhistischer sowie indisch-hinduistischer sind authentisch, hoch interessant und haben ihre eigene Stimmung, dennoch vermögen sie es aber nicht den kommerziellen Grundcharakter des Stadtstaats zu verstecken. Vollends verwestlicht, man möchte gar von amerikanisiert sprechen – u.a. dient der Flughafen Changi der US-Armee als Stützpunkt für Operationen in Südostasien – spielen riesige Einkaufszentren (als Tempel der Konsum-Ersatzreligion) und Smartphones (als Spiegelbild gesellschaftlicher Eitelkeiten) eine größere Rolle, als aufrichtig asiatische Werte. Glücklicherweise schlug dieser Transformationsprozess noch nicht aufs Essen durch, so wie im Südpazifik, wo die „Schutzmacht“ USA ihre lokale Präsenz missbrauchte, in Marktmacht umwandelte um traditionelles Essen durch Burger und Fastfood Made in USA zu verdrängen.

Die human-artifizielle Seite Singapurs kulminiert in den Gardens by the Bay, einem botanischen Garten mit freiem Eintritt der jeden Abend aufs Neue Bühne einer Lichtshow ist. Nicht dass wir uns falsch verstehen, der Garten ist klasse und beherbergt in Sichtweite der auf Reede liegenden Containerschiffe nahezu jede endemische Pflanzenart, die Lichtshow aber ist ein wenig schwülstig, im Speziellen die musikalische Untermalung, die beim Verlassen des Gartens nicht selten in einem profunden infantilen Ohrwurm mündet. Den Touristen aus aller Welt aber gefällt’s und so zücken sie ihre Smartphones deren Displays in Summe nicht selten heller erleuchten als die LEDs der künstlichen Baumriesen.

Bei den Eitelkeiten rund ums Marina Bay Sands, bei so vielen jungen Menschen die von Beruf nur Tochter oder Sohn sind, zieht es mich wieder in authentischere Gefilde, nach Little India. Neben den obligaten Hindu-Schreinen gibt es hier eine sehr interessante Moschee zu erkunden, die Masjid Abdul Gafoor. Hält man sich an die üblichen Bekleidungsregeln, kann man problemlos eintreten und sich alles anschauen. Die Obrigen der Masjid Sultan in der Arab Street stehen da eher auf dem Standpunkt sich religiös wie kulturell abzugrenzen und schieben nicht vorhandene Renovierungsarbeiten als Grund vor Besucher nicht herein zu lassen. Irgendwie passend zum arabischen Viertel, dass mit Arabien mittlerweile genauso viel zu tun hat wie Kängurus mit Eisbären.

Little India ist herrlich indisch, mit all den schrulligen Details und Eigentümlichkeiten die man vom Subkontinent her kennt. Eine ältere Dame sticht aus der Masse der Hindus, die über 60-jährige Hui mit ihrem Shop of Thousand Bottles, der von außen betrachtet eher wie eine Müllkippe mit Öffnungszeiten wirkt. Tritt man ein, wird man förmlich erschlagen von der Vielfalt der weltweit gesammelten, ungeöffneten Spirituosen, darunter Perlen aus dem Reich der Scotch Whiskys. Sicherlich wird Hui Dir ein paar lokale Spezialitäten Deines Heimatlandes unter die Nase reiben, womit sie das verkörpert wofür Singapur schon immer stand: Vielfalt.

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