Lüderitz – Deutschland am Rande der Namib-Wüste

Eine Stadt mitten im Nirgendwo der Wüste, direkt am Atlantik und umgeben von Millionen Tonnen Sands. Eine Stadt, die den Elementen trotzend das architektonische Erbe der Wilhelminischen Epoche bis in die heutige Zeit konserviert und für Weltklasse Austern steht. All das ist Lüderitz; gelegen am Ozean, an der Westküste Namibias.

Deutsch-koloniales Relikt wilhelminischer Architektur

Es ist am Abend, die Sonne steht tief über dem Naturhafen der Bucht von Lüderitz. Der starke Westwind löst feinste Tropfen Meereswassers aus der Gischt der See und bläst sie herüber. Leckt man sich die Lippen ab, schmeckt man den Atlantik. Ich stehe auf dem höchsten Punkt jener Siedlung, an deren Fuße sich die Angra Pequena erstreckt, die „Kleine Bucht“, wie sie ihr Entdecker Bartolomeu Diaz im Jahre 1487 nannte. Von hier oben überblickt man nicht nur die niedlichen Häuser, sondern auch den Hafen und Austernbänke, die Aufzuchtanlagen für Meeresfrüchte, deren Qualität mittlerweile Weltrenommee genießt.

Neben mir steht auch die evangelische Kirche der ~12.000 Seelen umfassenden Gemeinde. Lüderitz ist also so groß wie mein Rüdersdorf. Uns hat der Kalkstein groß und bekannt gemacht. Wir Rüdersdorfer haben Berlin nach dem Krieg wieder aufgebaut und so spielt auch für Lüderitz ein Bodenschatz keine kleine Rolle, liegt doch im Süden – im riesigen Dreieck zwischen Oranjemund, Aus und Lüderitz – ein sehr ergiebiges Diamantenfeld das auch heute noch nicht betreten werden darf. Die Entdeckung und der Abbau von Diamanten hat Lüderitz groß gemacht und auch heute noch ballern LKWs mit unbekanntem Inhalt über den Asphalt der einzigen Straße, die die Westküste Namibias mit dem Landesinneren verbindet, die B4, die regelmäßig vom Flugsand der alles umgebenden Wüste befreit werden muss.

Ich bin gekommen um die ehemals reichste Stadt Afrikas zu fotografieren (diese Fotos muss ich noch sichten und online stellen!), das mittlerweile aufgegebene und von der Wüste zurückeroberte Kolmanskop; oder Kolmannskuppe, wie wir Deutschen sagen würden. Doch vorher mache in besagtem Lüderitz Station, wo die Zeit stehen geblieben scheint und deren Architektur und Straßennamen auch heute noch an die wilhelminische Epoche und Deutsch-Süwest erinnern. Hochhäuser sind hier ein Fremdwort und so überragt die Felsenkirche alles. Wie für evangelisch-lutherische Kirchen üblich, ist sie nicht sonderlich opulent ausgestaltet. Ein paar bunte Fenster – das Altarfenster wurde von Kaiser Wilhelm II. gespendet – schmücken das Innere, auf dessen kargen Bänken der örtliche Pfaffe profund schnarchend ein tiefes Nickerchen hält.

Als die Deutschen in persona des Bremer Tabakhändlers Adolf Lüderitz und seines Teilhabers Heinrich Vogelsang 1883 anlandeten, hatten sie noch keinen blassen Schimmer von funkelnden, dort zu findenden Edelsteinchen. Und sowohl die Portugiesen als Entdecker als auch Engländer als Regionalmacht scherten sich nicht um dieses Stück des späteren Deutsch-Südwests. Lüderitz und sein Kompagnon ergaunerten sich das umliegende Land mit dem so genannten Meilenschwindel und bauten die Bucht sukzessive zum Handelszentrum aus, so dass 1884 offiziell die deutsche Flagge gehisst wurde.

Um die Jahrhundertwende, bei Bauarbeiten an einer Eisenbahn, setzte dann aufgrund der Entdeckung von Diamanten ein Boom ein der auch nicht an Lüderitz vorbeiging. Mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges besetzten südafrikanische Truppen umgehend die Stadt und das Diamantengebiet. Ein kampflos eroberter Schatz, von dem Südafrika bis heute zehren kann, auch wenn er auf namibischem Staatsgebiet lagert. Namibia gehörte lange Zeit zu Südafrika und nach der Unabhängigkeit stieg De Beers bei NamDeB ein, der die Diamanten schürfenden Firma.

Von dieser großen Zeit kündet auch heute noch die Bebauung, die trotz des kraftvoll anstürmenden Westwinds und der nagenden Korrosionskraft des nahen Salzwassers auch heute noch aussieht, als wäre Adolf Lüderitz erst gestern ausgezogen. Teil dieser Stadt ist Rainer vom Element Riders der in Lüderitz den namibischen Traum lebt. Wer mit diesem Traum nichts anzufangen weiß, der sollte Rainer mal besuchen und abends in seine vor Energie und guter Laune sprühenden Augen gucken wenn er vom Surfen wiederkehrt. Dann merkt man schnell, dass authentisches Glück auch an entlegenen Orten umgeben von 100 Kilometern Wüste zu finden ist.

Das Licht der sinkenden Australsonne verleiht dem abendlichen Spaziergang durch die Stadt den richtigen Rahmen und kitzelt dynamische Farben als auch kräftige Kontraste hervor denn entgegen seiner Lage auf kargen Felsen, umgehen von Millionen Tonnen von Sand, ist Lüderitz eine sehr farbenfrohe Stadt. Am Hafen den Abend ausklingen zu lassen, mit wunderschöner alter Architektur im Blick und dazu frischen oder gegrillten Austern, begleitet von einem Glas südafrikanischen spritzigen Chenin Blancs, oh ja, das hat sich für immer in meine Erinnerungen eingebrannt.

Der Atlantik ist an dieser Stelle das genaue Gegenteil der Wüste. Arschkalt trifft auf sengende Hitze. Arschkalt bedeutet im ozeanischen Sinne aber auch Nahrungsreichtum, von dem es bei Lüderitz eine der nördlichsten Pinguinkolonien der Welt durchaus vermag leben zu können. Genau diese Frische, den mineralischen Geschmack des Ozeans, transportieren Lüderitzer Austern in den Mund. Ein Wow-Gefühl, direkt vom Erzeuger kommend und daher alles andere als teuer.

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