Neukaledonien – Das bedrohte Reich des Kagu

Wenn etwas richtig teuer ist, dann kostet es die Briten verbal „an arm and a leg“; einen Arm und ein Bein. Das französische Überseedepartment Neukaledonien ist preislich derart intensiv, dass es sprichwörtlich gesehen sogar den doppelten Einsatz jener Körperteile fordert, denn die Insel kann ein Geldgrab per excellence sein. Besonders im Süden, wo einem die Hauptstadt Noumea und die typisch französische Arroganz (die Stimmung steht St. Tropez oder Nizza in nichts nach) ins Gesicht schlagen, erfolgt der Griff ins Portemonnaie. Allesamt Dinge, die ziemlich untypisch für den Südpazifik sind. Dennoch ist die Insel landschaftlich eine Perle und äußerst sehenswert. Küsten treffen auf hohe Berge, Palmen auf Nadelbäume, tote Wälder auf Stauseen und leider traf auch der Kagu auf den von Hund, was die Existenz des Vogels auf ca. 700 Exemplare schrumpfen lies. Neukaledonien ist ein Paradebeispiel des maximalinvasiven Eingriffs westlicher Arroganz in Öko- und Gesellschaftssysteme.

Ui, da habe ich noch einmal Glück gehabt. Die Gendarmerie winkte mich raus, aber glücklicherweise konnte ich dem Beamten ohne nennenswerte Sprachkenntnisse verständlich machen, dass da im Mietwagen kein Gegenstück zum Gurt existiert und ich mich deswegen nicht anschnallen kann. Der Spaß hätte mich sonst 20.000 CFP, südpazifische Franc, also fast stattliche 170 Euro gekostet. Aber ich darf weiterfahren und treffe kurz hinter Boulouparis auf Stéphane, der per Anhalter mitgenommen werde möchte.

Allein unterwegs zu sein ist langweilig und eigentlich hilft man sich im Südpazifik immer gegenseitig. Also sacke ich ihn ein und treffe so auf einen Wissenschaftler, genauer gesagt Biologen, dessen Auftrag darin besteht die Wälder zu schützen. Als einer der Wenigen spricht er, bzw. ist er Willens Englisch zu sprechen. „Siehst Du die Wälder?“, fragt er mich und deutet auf die Hügellandschaft durch die wir fahren. Deren Hänge sind nackt, sehen aus und als hätte die Haut der Erde Schürfwunden. „Normalerweise wäre die Vegetation so dicht, dass man den Erdboden noch nicht einmal erahnen würde.“, fährt er fort. „Das von uns eingeführte Wild frisst alles kahl, frisst vor allem die Rinde und die Sprösslinge, den Nachwuchs. Das ist der Tod für jeden Wald.“

Neukaledonien bietet unglaublich schnelle Vegetationswechsel. Während man im Norden unter tropischen Palmen wandelt, trifft man nur wenige Kilometer weiter, hinter den Bergen, auf eine komplett andere Vegetation, und damit auf Bäume, die man z.B. eher in Neuseeland vermuten würde. Genau hier ist Stéphane tätig und prangert die Dummheit mancher Entscheider an. „Wir haben auch ein Problem mit eingeschleppten Hasen. Einige in der Regierung glauben doch ernsthaft, dass das Aussetzen von Füchsen Abhilfe schafft. Klar, lasst uns den Fuchs eine Unterlassungserklärung unterschreiben auf das er nicht die endemischen Arten jagt und alles ist in Butter… Jedes Lebewesen hat seinen Platz in der Natur. Das verändern auch nur einer Komponente bewirkt eine riesige Kausalkette. Was glauben die denn?! Der Fuchs wird garantiert nicht vor unseren Kagus Halt machen.“

Und damit sind wir beim endemischen Kleinod der neukaledonischen Tierwelt, dem Kiwi des Überseedepartements. Einige Tage später bin ich auf der fotografischen Jagd nach diesem bodenbrütenden Reihervogel, von dem es inselweit weniger als 700 Stück gibt. Im „Riviere Bleue”-Park sind die Chancen am höchsten sie anzutreffen. Mit dem dicken 200-400mm Objektiv bewaffnet, schleiche ich durchnässt stundenlang durch den Regenwald als mir plötzlich der Atem stockt. Direkt vor meinen Füßen läuft mir ein Kagu-Pärchen über den Weg. Vorsichtig, seeeeehr vorsichtig wechsle ich von Supertele auf (witzigerweise!) Weitwinkel, setze mich in den Matsch und komme so zu für mich einmalige Fotos eines weltweit nicht mehr oft gesehenen gefiederten Kerls.

Die vom Weißen eingeschleppten Tiere haben der endemischen Flora und Fauna ordentlich zugesetzt. Ein Massenmörder hätte lange dafür stricken müssen um das zu erreichen, was allein Hund und Katze so auf dem Gewissen haben. Und die Ratte ist auch nicht viel besser. Sie frisst den Flughunden die Nahrung weg und zerbeißt dabei die Samen, Flughunde schlucken diese nur, was neben den großen Fledermäusen auch die verbreitungswilligen Pflanzen massiv in die Röhre gucken lässt. Alles hat seinen Platz in der Natur – ein Gesetz, dass der Westen gern ignoriert wenn es darum geht seine egoistisch-individualistischen Bedürfnisse zu befriedigen.

Der „Parc provincial de la Riviere Bleue“ ist ein Reservat und beherbergt auch den Lac Yate, einen normalerweise üppig gefüllten Stausee. Doch die Trockenheit der letzten Monate hat seinen Wasserhaushalt so stark ruiniert, dass der See überflutetes Land und Bäume preisgibt. Ein surrealer, nach Vergänglichkeit aussehender Ort, dem die dramatischen Wolken eines Zyklons das gewisse Etwas verleihen. Viele der tiefroten Lehmflächen sehen fest aus, sind es aber nicht und so dauert es nicht lange bis ich knieftief im Morast feststecke. Nur mit Glück komme ich da raus…

Die Witterung ist nicht sonderlich schön, der Zyklon „June“ hat sich am Südende der Insel festgefressen und deckt alles mit Regen ein. Dem Wasserreservoir hilft es, mich hingegen vertreiben die Wolken in den Norden, nach Hienghène, wo die imposanten schwarzen Linderalique Felsen aus dem Meer ragen. Spätestens hier entfaltet Neukaledonien seine landschaftliche Wucht: Felsen, Strände, türkiser Ozean und alles eingerahmt von den wunderschön rot blühenden Flamboyants, den Flammenbäumen. Einfach nur wunderschön!

Wenige Kilometer weiter nördlich, auf dem Weg zum dem Strand wo James Cook das erste Mal neukaledonischen Boden betrat, wird die Landschaft sogar noch dramatischer: Das Massiv des inselweit höchsten Berges, Mont Panié, ragt empor. Seine ansehnlichen 1629 Meter und Ausläufer umarmen den Fluss Ouaieme, der deswegen von keiner Brücke sondern nur von einer Fähre mit unsäglich lautem Außenborder und quietschtürkisem Deck überquert werden kann. Dort, wo der große James Cook zum ersten Mal anlandete, steht heute unter einem Baum eine Freiluftkapelle, als Erinnerung an die Christianisierung des Südpazifiks.

Womit wir bei der kulturellen Einflussnahme des weißen Mannes wären. Es ist schon ziemlich merkwürdig ansehen zu müssen, dass die eigentlichen Ureinwohner nur akzeptiert werden, wenn sie Cafe au Lait schlürfend und mit einem Baguette durch Noumea rennend den Tag beginnen und dem gleichen europäischen Lauf der Dinge frönen. Die Melanesier, die man vor dem wilden Übernachten immer um Erlaubnis fragen sollte ihr Land betreten zu dürfen, sind unglaublich tiefgreifend umgepolt worden. Natürlich wird das bemerkt und stößt den Einheimischen sauer auf, was zuletzt 1988 in eine blutige Revolte mündete.

Und jetzt mal Butter bei de Fische meine lieben europäischen Nachbarn. Ihr agiert im Südpazifik leider gänzlich uneuropäisch und unpazifisch, bzw. mit genau jener Arroganz, wie Ihr sie z.B. den Briten oder aber uns Nazis Deutschen gegenüber ständig unterstellt. Ihr beantwortetet jene melanesischen Unabhängigkeitsbestrebungen nicht mit konstruktivem Dialog sondern fast ausschließlich mit Gewalt, Unterdrückung und Deportation. Und apropos Deportation, wer es wagte als Algerier für seine Mitmenschen und Heimat zu kämpfen, der wurde von Euch nach Neukaledonien ins Arbeitslager deportiert. Wie ekelhaft ist das denn bitte?! Die Geschichte dieser Seelen erzählt das Dorf Nessadiou.

Doch auch die Natur wird wenig wertgeschätzt. Mururoa, genauer gesagt die 1995 von den Franzosen durchgeführten Atomtests, sind genauso Zeugnis jener zum Himmel schreienden Arroganz wie die tiefen Wunden die Neukaledoniens östlicher Mitte zugefügt wurden, die Tagebau die sich tief in die Insel fressen um Nickel zu fördern, etwa 10 % der gesamten Nickelvorkommen der Welt. Die Fahrt durch diese staubigen Gebiete farbenfrohen Gesteins ist zugleich optisch aufregend aber auch gespenstisch, als ob man einen anderen Planet besucht.

Das klingt nach Geld, und trotzdem subventioniert der französische Mutterstaat die Insel mit ca. 33% des Bruttoinlandsprodukts. Das erklärt das unglaubliche Preisniveau und ggf. die dortige Überheblichkeit. Sogar die unglaublich entspannten Kiwis rollen mit den Augen wenn ein Neukaledonier vor ihnen steht. „Man, die gehören zu den arrogantesten, nörgeligsten und unentspanntesten Leuten die bei uns einreisen“, meint selbst einer der am Flughafen von Auckland arbeitenden Beamten.

Ja, da lasse ich wenig gute Haare an unseren Nachbarn, ich weiß. Ich weiß aber auch, dass es viele gute Franzosen gibt die die Situation verstehen und meinen Standpunkt teilen. Einfach nur Fotos sorglos wirkender Strände zu schießen und Neukaledonien in dieser Weise zu verklären kann jeder, das wäre mir zu einfach. Gleiches gilt für o.a. verbale Stellungnahme. Der Südpazifik hat eine ganz gewisse Philosophie und Stimmung, welche von Neukaledonien klar verletzt wird.

Wäre die Insel die letzte Station meiner Reise gewesen, hätte es mir den Südseetrip ordentlich verlitten. Nicht zuletzt die anfänglich beschriebene Situation, der Anhalter, unterstreicht die zuvor geschilderte Sicht der Dinge, denn Stéphane wäre dort verschimmelt, da seine eigenen Landsleute an ihm vorbeibrettern; der ihn mitnahm war ein Fremder, und dann noch ein Deutscher.

Entfliehen kann man der unpazifischen Arroganz Noumeas am besten im kleinen aber feinen Aquarium des Lagons, welches die Biodiversität des neukaledonischen Barriereriffs und der dazu gehörigen Lagune vorstellt. Mit diesen Eindrücken verlasse ich Neukaledonien wieder, mit einem signifikanten Loch in der Brieftasche und so sehr mich das Schicksal der dortigen Melanesier berührt weiß ich nicht, ob ich noch einmal zurückkehren werde.

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