Kljutschewskoi und Tolbatschik – Die Vulkangiganten des Nordens
Aufwärmen in Esso und dann nochmal zum Schiwelutsch
Die nicht aufreißende Wolkendecke nagt gewaltig an unserer Laune und unserer Hoffnung. Aus der Not an Licht, Wetter und vulkanischer Aktivität heraus entscheiden wir uns nach Esso zurückzuziehen, doch zuerst geht es wieder einmal in die 4000 Seelen Gemeinde Kljutschi, die wir nun schon aus dem Effeff kennen. Gleiches gilt für Kosyrewsk, wo wir wieder bei Nikolai Nikolajetwitsch, der eigentlich Waludja heißt, einen Stopp machten bevor wir das in den westlichen Bergen liegende Esso erreichen. Auf dem Weg dorthin legen wir einen Halt bei einem Thermalbad ein, in dem gleichzeitig auch die Inhalation natürlichen Radons möglich ist. Mit „Kosten“ von nur 100 Rubeln ist dieses Thermalbad recht günstig.
Das Dorf Esso ist für seine Thermalquellen und sein Engagement für die Indigenen bekannt, also war aufwärmen, Sachen trocknen und ein Besuch des örtlichen Ureinwohnermuseums angesagt, wo es originalgetreue Rekonstruktionen des indigenen Alltags zu sehen gibt. Man lernt auch, dass die Namen vieler Vulkane, so auch Schiwelutsch und Tolbatschik, nicht dem Russischen sondern dem Wortschatz der Indigenen, sprich Korjaken, Itelmenen oder Ewenen entstammen. Im kleinen aber feinen Bärenmuseum, untergebracht in der örtlichen Bibliothek, erfährt man dann alles Wissenswerte über Meister Petz.
Wir machen einen Tagesausflug zum nicht weit entfernten Osero Ikra, dem Kaviarsee (Озеро Икра), der wohl in gänzlicher Ermangelung von Lachsen aus Ironie so benannt worden ist. Der See verlandet allmählich und hat keinen natürlichen Zufluss. Kaum haben wir den See erreicht und öffnen die Tür des Geländewagens, stürzt sich eine Heerschar Mücken auf uns wie ein Besoffener auf einen sauren Hering.
Egal wohin wir uns begeben, unsere Köpfe sind permanent von einer Traube summender, sirrender, geflügelter Plagegeister umgeben, die versuchen jede nur erdenkliche Körperöffnung zum Zweck des Blutdiebstahls zu erobern. Wild mit den Händen umher fuchtelnd (was nichts nutzt…) laufen wir durchs Gehölz, das ein oder andere „Grußwort“ hinterher schickend. Die Viecher sind derart omnipräsent, dass man sie auch aus den Fotos entfernen, sprich wegstempeln muss. Sensordreck mal anders…^^
Unser Wetterpech, so erfuhren wir, hatten wir dem Ausläufer eines Taifuns zu verdanken. Die Dinger werden immer kraftvoller und erreichen Kamtschatka mittlerweile regelmäßiger, wo sie dann an den Hängen der Vulkangiganten wie Zuckerwatte kleben bleiben, abregnen und durch ihre Rotation sogar polare Luft nach Kamtschatka pumpen können. So viel zum Thema Klimawandel und den Dummköpfen die der Meinung sind, klimatisch bliebe alles beim Alten.
Alexej telefoniert nach Kljutschi. Dort war es klar, kein Regen in Sicht und es fiel die Entscheidung noch einmal den Schiwelutsch, sprich die Westflanke und den kleinen dampfenden Lavadom, den wir von Apachontschitsch aus sahen, in Angriff zu nehmen. Also zurück nach Kljutschi und zur Fähre, wo selbst das in härtesten Granit gemeißelte Gesicht des Fährmanns ob der hin und her fahrenden Fremden Bände zu sprechen scheint. Zuvor jedoch versuchten wir zum Vulkan Kizimen (Кизимен) zu gelangen, was ebenfalls misslang, da der Fluss vor der Ortschaft Lasso der Fähre einen zu geringen Tiefgang bot, für unser Geländeauto aber viel zu tief zum furten war. Wieder mal eine Sackgasse…
Doch zurück zum Schiwelutsch, wo wir erneut übernachteten, diesmal im Osten des Gipfelbereichs, welcher aber just nach unserer Ankunft erneut von Wolken in die Zange genommen wurde. Kein Licht. Keine Sicht. Kein Lavadom. Unglaublich! Tags darauf brachen wir daher unsere Zelte unverrichteter Dinge ab, wieder einmal. Also ging es wieder über die Fähre, über Kljutschi gen Kosyrewsk, wo uns bereits Nikolai Nikolajewitsch, der eigentlich Waludja heißt, erwartete. Dort schlossen wir uns dann mit der Gruppe um den ortsansässigen Fotografen Denis Budkow zusammen, denn es galt ja noch den Tolbatschik unsicher zu machen.
Die Frustration war vollends allerdings perfekt, als sich auf unserer Fahrt nach Kosyrewsk der Wolkenbrei fast allerorts lichtete, die Sonne raus kam und nun doch mal die Gipfel der Vulkangiganten zu sehen waren. Genau DAS hätten wir vorher gebraucht, gewürzt mit ein wenig vulkanischer Aktivität. Trotz erheblichen Frusts mobilisierte der einzigartige Waldfriedhof von Kosyrewsk meine Motivation zur Kamera zu greifen. Ein interessanter Ort an dem die Vergänglichkeit des Menschen und seine Koexistenz mit der Natur auf ganz besondere Art und Weise spürbar wird.