Kljutschewskoi und Tolbatschik – Die Vulkangiganten des Nordens
Wo Mondmobile getestet werden
Im Juni und Juli hatte es nur selten geregnet, allerdings war es oft dunstig und die Sicht weniger gut erzählt mir Oma Galina, eine Geophysikerin die sich vor über 40 Jahren in Kamtschatka verliebte und dort blieb. Als sie mir am ersten Reisetag davon berichtete, hatte ich noch keine Ahnung welche Rolle das Wetter für mich spielen wird. Durstig nach Licht, hungrig nach freier Sicht und mit dem letzten Funken Hoffnung ging es nun also mit der Gruppe von Denis Budkow zur Nordseite des Tolbatschik (Толбачик), einem imposanten Berg der eigentlich aus zwei Vulkanen besteht, dem flachen Plosky Tolbatschik, einem Schildvulkan, und dem steilen Ostry Tolbatschik, einem Stratovulkan. Und wenn Kljutschewskoi vom Namen her ein Schriftsteller sein könnte, dann ist Tolbatschik wohl eher der versoffene Typ aus dem Spätverkauf mit der unreinen Haut.
Mensch wie Zelt, Thermounterwäsche und Daunenschlafsack sahen sich einem ersten winterlichen Belastungstest ausgesetzt; selbst die Schnüre unserer modernen Wigwams waren mit einer fetten Eisschicht überzogen.
Pünktlich nach Ankunft am Tolbatschik (wie sollte es auch anders sein…) zog sich der Himmel sukzessive zu und gegen Abend verschwand der Berg für die nächsten Tage weitestgehend im Wolkenmatsch. Obendrein schickte uns der Wettergott nebst Minusgraden, auch Schnee, Hagel und satte Windstärken. Unsere russischen Mitstreiter beantworteten diese Situation mit warmem Borschtsch, schüsselweise frischem Lachskaviar und endlosem Nachschenken in Sachen Wodka.
Die einzige Aufregung kam auf, als unser Dahinvegetieren jäh vom Ruf „Medwedjew!“ unterbrochen wurde. Dies war allerdings keine Sympathiebekundung für den ehemaligen russischen Interimspräsidenten, sondern die Sichtung eines Bärenpärchens das auf Nahrungssuche ein weiter unten gelegenes Camp plünderte und alle Zelte zerfetzte. Dumm, wenn man einen Tagesauflug macht und niemanden – gut ausgerüstet versteht sich – zur Wache abstellt. Vom unsererseits „Pressehügel“ getauften Felsen kann man das Treiben der Bären gut beobachten. (hier gibt’s ein Video von Marc Szeglat dazu)
Mit bei eisigem Wind herunter gelassener Hose und potentiellem Bärenkontakt gestaltete sich der Toilettengang mitten in der Wildnis recht pikant. Bei Sichtweiten um die 50 Meter ist die eine Hand permanent am Pfefferspray und die andere, naja, anderweitig beschäftigt. Das ist nur die männliche Sicht der Dinge. Ich möchte nicht wissen, wie sich die mitgereisten Frauen so fühlten…
Die Gruppe selbst war ein buntes Potpourri aus Fotobegeisterten, die aber unserem „deutschen“ stark ausgeprägten Hang zur Nähe zu vulkanischer Aktivität zunächst nicht so viel abgewinnen konnte. Menschlich waren allerdings wir schnell auf einer Linie und das eisige Wetter der letzten Tage wurde gemeinsam weggelacht, besonders beim direkten Übersetzen deutscher Witze ins Russische. Dazu konnten wir ab und an ins Tal blicken, wo die Strahlen der untergehenden Sonne zwischen den Wolken tanzten. Einfach nur schön!
Wie Sehschlitze geben die am Berg klebenden Wolken – lediglich in wohl portionierten Dosen – Blicke auf die nähere Umgebung preis
Und dann kam der Tolbachik… Am letzten Tag unseres Aufenthalts am nördlichen Tolbachik reißt die Wolkendecke endlich (!!) brauchbar auf. Endlich kein einheitsgrauer strukturloser Einheitsbrei mehr und das sehschlitzartige Fotografieren hat auch ein Ende. Der Vulkan, wie auch das Tal und die Feuerberge der Kljutschewskoi-Besymjanny-Vulkangruppe sind weithin klar sichtbar. Frische, eiskalte, klare Luft erfüllt unsere Lungen und der von den Bergen in der Atmosphäre geworfene Schatten beeindruckt uns schwer.
Ein Hochgenuss für Fotografen, besonders wenn man dann noch einen kleinen eisfreien Bergsee als Spiegel nutzen kann. Dazu das i-Tüfpelchen frisch gefallenen Schnees, sowie eine Lichtstimmung nicht von dieser Welt, und fertig ist der fotografische Exzess, der mit unterschiedlichen Brennweiten, Perspektiven und sogar Graufiltereinsatz endet. Letzteren benutze ich sehr selten.
Zurück im Camp – unsere Köchin Ludmila bereitet gerade Oladji und mit Fleisch gefüllte Bliny zu – durchschneidet abermals der Ruf „Medwedjew!“ das gefräßige Schweigen. In Windeseile ist das Tele auf der Kamera, die Bären aber kommen diesmal zu uns. Nicht drunten im Wald treffen wir auf Meister Petz, sondern hier oben auf ~1.700 Höhenmetern. Verrückt…! Die Tiere haben natürlich ausschließlich unser Frühstück im Visier, und wir stehen genau dazwischen. Beherzt vertreiben wir sie mit lautem Gebrüll, Steinwürfen und Magnesiumfackeln.
Die Sonnenstrahlen vertreiben aus unseren Herzen den letzten Frost und es wurde ein richtig schöner Wintertag. Die Sichtweite und Klarheit der Luft ist fantastisch und es präsentiert sich die gesamte Kljutschewskoi-Besymjanny-Vulkangruppe. Uns Vulkanophilen ist natürlich nicht entgangen, dass Asche und Gas die Wolke ganz rechts rötlich bzw. blau einfärbt. Als die Sonne auch diese Wolke vertrieb, eröffnete sich uns ein wunderbarer Blick auf den im Krater des Besymjanny wachsenden Lavadom. Nur nennenswert ausgebrochen ist er leider nicht, nicht mal ein kleiner Aschepuff. Dem Ziesel (am Fuß der Vulkane aus einer Höhle gekrochen) war das herzlich egal. Es versorgte sich nach 5 Tagen Scheißwetter erst einmal mit frischen Beeren. Der Hunger muss wohl gewaltig gewesen sein, so ungestört wie ich mich nähern durfte.
Wir wechseln den Ort, verlagern unser Camp von der Nord- auf die Südseite des Tolbatschik die so unwegsam ist, dass die Sowjetunion einst dort ihr Mondmobil testete. Während wir einen kleinen Bach durchqueren und im Tal die Sonne lacht, hüllt sich der Berg schon wieder in Wolken. Natürlich machten wir vorher auch wieder in Kosyrewsk halt, diesmal nicht bei Nikolai Nikolajewitsch, der eigentlich Waludja heißt, sondern im ortansässigen Magasin, um uns mit Lebensmitteln zu versorgen. Dort bedient ausschließlich nur einer, bzw. eine, deren in Granit gemeißeltes Gesicht ein Meister der Aussprache von „Njet!“ (russisch für nein) ist. Selbst die Kühltruhe darf man nicht eigenhändig öffnen, oder man läuft Gefahr sofort eins mit der Verbalkeule übergezogen zu bekommen. Russland, wie es leibt und lebt :-)