Größter Wasservorhang der Erde – Die Victoriafälle

Während sich die ganze Welt in sozialen Netzwerken virtuell über den Sturz Robert Mugabes lustig macht und dabei nur die wenigsten einen blassen Schimmer haben wer das überhaupt ist und wo Simbabwe eigentlich liegt, war ich, der ich wegen Internetmangels vom Hinfallen des Diktators nichts bemerkte, vor Ort und habe mir die Victoriafälle des Sambesi mal mit eigenen Augen statt via Google Earth & Co. angeschaut. Die Chance einen der größten Wasserfälle der Erde mit eigenen Augen zu sehen hatte ich bereits vor 12 Jahren. Die Kololo, die regionalen Einheimischen, nennen die Fälle Mosi-oa-Tunya, was so viel wie »donnernder Rauch« bedeutet; was nicht überrascht, denn wenn die Fälle vollen Wasserdurchsatz haben, versteht man sein eigenes Wort nicht mehr während der Sprühnebel so hoch steigt, dass er noch aus 30 Kilometern Entfernung zu sehen ist.

An jenem Ort, der heute die direkte Grenze zwischen Simbabwe und Sambia bildet, fällt der Sambesi, der viertlängste Fluss Afrikas, auf 1,7 Kilometern Länge in eine circa 50 Meter breite Schlucht aus schwarzem Basaltfelsen 110 Meter in die Tiefe. In der Regenzeit, wenn der Sambesi Unmengen an H2O gen Indischem Ozean transportiert, stürzen pro Sekunde bis zu 10.000 m³ Wasser, also 10 Millionen Liter pro Sekunde in die Tiefe. Laufen die Victoriafälle auf Hochtouren, dann sind sie die breitesten durchgehenden Wasserfälle, der größte Wasservorhang der Erde.

Wenn man nicht mit dem Auto nach oder durch Simbabwe muss, dann sollte man es lassen, denn das Mugabe-Land versteht es vorzüglich einem die Kohle aus dem Portemonnaie zu ziehen. Zwangsversicherungen, obwohl das Auto versichert ist, oder aber willkürliche Mautgebühren, willkürliche polizeiliche Strafmandate, willkürliche Ausreisegebühren – der Staatsapparat ist sehr kreativ was das Schröpfen von Individualreisenden angeht. Um dieser Scheiße zu entgehen, entscheide ich mich für einen Tagesausflug ab Kasane, in Botswana, das ungefähr 100km von den Fällen entfernt liegt.

In Kasane treffe ich Alan und Michelle, zwei Südafrikaner aus der Nähe von Durban. Wir kennen uns zwar erst wenige Minuten, aber die beiden bieten mir an mich a) zu den Fällen mitzunehmen und b) wenn ich in der Nähe von Durban bin bei ihnen übernachten zu können. Sympathische Menschen mit einer großartigen Gastfreundschaft und der Fähigkeit solidarisch zu sein. Am Grenzübergang angekommen bemerke ich hinter mir eine Familie aus Deutschland, die mich fragt, ob ich mich mit den Einreiseformularen auskenne. Allein diese Frage zeigt mir, dass die noch nicht viel in Afrika unterwegs waren, denn Einreiseformulare sind nahezu immer und überall auszufüllen.

Gern helfe ich meinen Landsleuten. Wir kommen ins Gespräch und da ich noch keinen Transport zurück nach Botswana habe frage ich höflich, lieb und nett – genauso wie mich meine Mutter erzogen hat – ob sie mich vielleicht wieder mit zurücknehmen könnten. Daraufhin giftet mich die Mutter dieser Frankfurter (am Main) Familie an, ob ich nen (Zitat) Schuss hätte. „Wir nehmen doch niemand wildfremden in Afrika über die Grenze mit. Da hat man ja schon vieles gehört…“ Keine Ahnung aus welcher Springer-Schwachsinnspresse die Dame dieses „viel Gehörte“ entnimmt, aber in Sachen Solidarität hat sie wie viele andere Deutsche einen offensichtlich signifikanten Nachholbedarf. Mit solch entsolidarisierten Leuten große Probleme wie Klimawandel & Co. lösen? Eine in die Unmöglichkeit abgleitende Sisyphos-Aufgabe…

Zurück zu den Fällen welche in diesem Monat sehr viel mehr Wasser führen als ihnen statistisch zugestanden sind. Auch das ist Natur, nicht immer ist alles gleich. Der Sprühnebel deckt den auf der gegenüberliegenden Seite der Abbruchkante wachsenden Wald ein und lässt ein Regencape vermissen. An der hinteren Bruchkante, gegenüber dem Regenbogenfälle genannten Abschnitt, wo der Danger Point zu finden ist, verwandelt, verwandelt der Sprühnebel den Fels in eine gefährliche Rutschbahn. Da ist bestimmt schon mal jemand unfreiwillig abgeschmiert, auf dass seine Überreste Futter für die Krokodile stromabwärts werden. Der Blick in den Schlund des Devil‘s Cataract und der Hauptfälle, die im Westen der Victoriafälle befindlichen wasserreichen Abschnitte, ist hypnotisch und ein ganz klein wenig bekommt man das Gespür, was 10.000 m³, also 10.000.000 Liter Wasser pro Sekunde, so bedeuten können.

Am Hauptkatarakt ist auch der Sprühnebel am stärksten. Fotografieren ohne Wassertröpfchen auf dem Objektiv zu haben? Vergesst es… :-) Ein Liter Wasser bedeutet auch den Druck von einem Kilogramm. Viele Touristen realisieren diese Urgewalt erst, wenn sie inmitten des Raftings vergeblich versuchen in den Fluten zu schwimmen bzw. wenn sie vom Sambesi aus dem Boot katapultiert und unter Wasser gedrückt werden. Ohne Schwimmweste ist man dem Tod geweiht. Nur dieses Auftrieb verleihende ärmellose etwas trennt einem vom sichereren Ableben durch Ertrinken.

Ich habe Glück gehabt und größtenteils Sonnenschein erwischt, mittlerweile aber sind die Wolken düster und regenschwer. Es dauert nicht lange und sie können ihre Last nicht mehr halten. Binnen weniger Sekunden ist man klitschnass, bis auf die Knochen. Nachdem der Regen abgezogen ist wird sich zeigen was Canon als wetterfest definiert. Nicht ohne eine gewisse Nervosität lege ich den Schalter meiner Kamera um und sie meldet sich pflichtbewusst zum Dienst. Ich liebe meiner 1er, ich liebe sie. Verlässlich fängt sie den wunderschönen sonneninduzierten Regenbogen ein, der dem mittleren Teil der  Victoriafalls, den Rainbow Falls, seinen Namen gibt.

Auf der sambischen Seite, genauer gesagt zwischen Hauptkatarakt und den Regenbogenfällen, kann man nicht wenige halbnackte Touristen beobachten, die in den Devil’s Pool steigen um dort gegen Entgelt ihr zwingend benötigtes Selfie zu bekommen. Dieses nur bei strömungsarmem Niedrigwasser betretbare Becken bietet die Möglichkeit direkt oberhalb der Fälle schwimmen zu können. Ob ihrer Fettleibigkeit treiben manche von ihnen auf dem Wasser wie aufgedunsene, vom Sonnenbrand rot angemalte ozeanische Bojen.

Aufgrund des Donnerns der Fälle kann man nicht wirklich von Ruhe sprechen, wenn aber alle Nase lang irgendein Hubschrauber das Dröhnen der Fälle zersägt, ist das ein Zeugnis wie sich die Fälle des Sambesi kommerziell entwickelten. Vor 12 Jahren noch war das anders, war die Stadt Vic Falls lediglich eine zwielichtige Ansammlung von Barracken. Jetzt aber, vor allem nachdem das sich im freien Währungsverfall befindende Simbabwe auf US-Dollar umgestellt wurde, ist zumindest die Stadt an den Fällen zu einem prosperierenden Ort avanciert. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, aber ganz so dumm wie die Internet-Gutmenschen uns den „gefallenen Mugabe“ zeigen mögen, scheint er nicht zu sein. Nichtsdestotrotz ist er ein Diktator dessen bestechungswillige Soldaten mich vor 12 Jahren in die Läufe geladener Gewehre gucken ließen.

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