Kljutschewskoi und Tolbatschik – Die Vulkangiganten des Nordens
Kljutschewskoi – ein Name ebenso imposant, wie der eines großen russischen Dichters und Denkers. Eigentlich hört Russlands Pyramide offiziell auf den Namen Kljutschewskaja Sopka (Ключевская сопка), doch selbst den Einheimischen scheint diese Bezeichnung viel zu lang. Der Feuerberg vereint gleich mehrere Superlative; er ist ein Stratovulkan wie aus dem Bilderbuch und mit knappen 4800 Metern der höchste Vulkan der eurasischen Kontinentalplatte, sogar der nördlichen Halbkugel. Er ist majestätisch, hoch, schneebedeckt und unnahbar, mit perfektem Konus sowie Teil eines der größten vulkanischen Systeme unseres Planeten, welches so groß und markant ist, dass es sogar vom All aus mit dem bloßen Auge zu erspähen ist. Nördlich des Kljutschewskoi findet man neben der Siedlung Kljutschi (Ключи), dem Namensgeber des Vulkans, auch den Fluss, dem wiederum die Halbinsel Kamtschatka ihren Namen verdankt. Kljutschi ist das Tor zu den nördlichen Gebieten Kamtschatkas, z.B. zum unberechenbaren und weit ausladenden Vulkan Schiwelutsch (Шивелуч), von dort kann man aber auch auf verschlungenen Waldwegen in den menschenleeren Osten als auch in den Süden des vulkanischen Bergclusters vorstoßen, der Heimat des Vulkans Tolbatschik (Толбачик).
Es ist 5:30 Uhr in der Früh. Nikolai Nikolajewitsch, der eigentlich Waludja heißt, öffnet knarzend die hölzerne Tür seiner typisch russischen Bretterbehausung deren Fensterrahmen in Retina kitzelndem Aquamarin angestrichen sind. „Wilka! Loschka!“ gellt es durch die Morgendämmerung und kurz darauf erscheinen ein zotteliger Hund sowie eine eigenbrötlerische Katze. Ein Typ der seine Haustiere Gabel und Löffel nennt ist mir sympathisch. Nicht auch zuletzt weil er mit Tarnhose, Gummistiefeln und natürlich freiem Oberkörper just anfängt den Rasen mit der Sense zu bearbeiten, um 6 Uhr in der Früh. Ein Russe wie er im Buche steht :-)
Schiwelutsch – Pennen unterm Lavadom
Der Morgentau stieg uns bereits seit längerem in die Zelte. An Schlaf ist nicht mehr zu denken und so brechen wir – Vulkanfotograf Martin Rietze sowie Vulkanfilmer und Geonaut Marc Szeglat – unser Lager ab und verlassen Kosyrewsk, ein knapp über 1000 Leute messendes Dorf im Norden Kamtschatkas. Unsere Abreise bleibt nicht unbemerkt. Der Nachbar Nikolai Nikolajewitschs, der eigentlich Waludja heißt, versucht noch einmal sein Glück und fragt uns selbst zu dieser frühen Tageszeit nach etwas Trinkbarem, hochprozentiger Natur versteht sich. Für uns aber geht weiter gen Norden, gen Kljutschi um dort mit der Fähre zum Vulkan Schiwelutsch überzusetzen.
Regnet es, sinkt die Laune. Scheint die Sonne, kommen die Mücken raus und man frisst Staub.
Wir haben Glück. Unser Fahrer und Guide Alexej gab Stoff und wir erreichen die 12 Uhr Fähre, sonst hätten wir bis 16 Uhr warten müssen. Das an ein Schiff geschnallte Ponton ist die einzige Verbindung zum Gebiet nördlich des Kamtschatka-Flusses. Wir erreichen die Basis des Schiwelutsch und dringen von Westen in seinen PF-Fächer ein; in genau die Ebene, wo die gefürchteten pyroklastischen Ströme, auch Glutlawine oder eben PF (pyroclastic flow) genannt, niedergehen. Von unten betrachtet qualmt der Lavadom des Vulkans nicht unwesentlich. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, beziehen wir vorgelagert an seinem Fuß Stellung um auf Fotos vulkanischer Aktivität anzusitzen. (hier gibt’s ein Video von Marc Szeglat dazu)
Pustekuchen, der Himmel hat etwas gegen unsere Gegenwart… Binnen einer Stunde brandet ein Meer von Wolken an Gipfel des Schiwelutsch und hüllt alles in undurchsichtige Watte. Der Wind frischt auf und peitscht Regenschauer über uns hinweg. Mit Fotos wird es heute nichts mehr, leider, und wir gehen in unsere schnuckeligen Einmannzelte.
An Schlaf jedoch war nicht zu denken. In der potentiellen Schussrichtung eines Lavadoms zu nächtigen löst ein unglaubliches Kopfkino aus und der Wind rüttelt am Zelt wie eine heißhungrige neuseeländische Rugbymannschaft an einer Küchentür. In der Nacht klart der Himmel auf und die Armada der Wolken weicht einem Sternenmeer. Die Sicht hält sich glücklicherweise bis zum Morgen und man kann den Sonnenaufgang über dem fast 70km entfernten Kljutschewskoi genießen.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie oft ich im Verlauf der Reise auf die Brennweite 200-400mm benötigen werde, was bei dunstigem Wetter aber automatisch auch bedeutet keine optimal kontrastieren und farblich korrekten Bilder davon tragen zu können. Bitte seht es mir nach, wenn ein Bruchteil der Fotos vom Farbcharakter her ein wenig „altbacken“ bzw. arg blaustichig aussieht. Das passiert bei derartigen Wetterbedingungen leider, die Perspektiven will ich Euch dennoch nicht vorenthalten.