Farbenfrohes Tsechu – Zu Besuch bei den Maskenfestivals in Bhutan

Die Maskenkultur des Buddhimus und Tibets ist etwas absolut Einzigartiges. Durch Maske und Tanz werden die unterschiedlichsten Legenden, Mythen, Charaktere, aber auch der Kampf Gute gegen Böse verkörpert. Im Königreich Bhutan ist diese Kultur besonders lebendig und farbenfroh. Seine stärkste Ausdrucksform ist das Tsechu, das Maskenfestival, welches ich im Dorf Wangdue und in der Hauptstadt Thimphu besuchte.

Stundenlanger Tanz in der Sonne

Wer denkt, dass es auf 2.000 Höhenmetern kalt ist, der irrt gewaltig. Bevor wir uns das große Thimphu Tsechu anschauen, geht’s erstmal in die Region, zu einem kleineren Tsechu. Wir sind südlich von Punakha im Dorf Wangdue auf jenen 2.000m und erleben unser erstes Maskenfestival. In Thimphu ist’s mit 2.300m übrigens auch nicht sonderlich kälter. Die Sonne brät unerbittlich alles was sich nicht im Schatten befindet durch. Das wissen auch die Organisatoren, weshalb lang gezogene Zelte aufgestellt wurden. Für uns westliche Touristen wäre freier Ausschank von LSF 50+ Sonnencreme ganz nett.

Aber solange wir auf der Haupttribüne Platz nehmen dürfen, liegt alles noch im Schatten. Die Gesichter der Tänzer sehen allerdings weniger glücklich aus. Selbst aus 100 Metern Entfernung sieht man vor Anstrengung tropfenden Schweiß. Das Wangdue Tsechu wird auf dem Sport- bzw. Festplatz des Dorfes veranstaltet und es pilgern schlichtweg Massen an Menschen zum Ort des Geschehens. Selbst jetzt, um 8 Uhr in der Früh…

Unser Fahrer Wangyi braucht eine halbe Ewigkeit bis er einen Parkplatz ergattern konnte. Die örtliche Polizei hat freundlich aber bestimmt alles fest im Griff. Absperrungen und Posten allerorts lassen noch nicht mal die oft mit Pistolen und Gewehren spielenden Kleinkinder durch. Das Festival selbst ist von einem Floh- und Jahrmarkt umzingelt, der unter unwirtlichen, blauen Plastikplanen den letzten Plunder Made in China/India anpreist.

Tsechus sind stark religiöse, sehr farbenfrohe Feste und Anker des bhutanischen, um nicht zu sagen tantrischen Buddhismus. Dieser entstammt wiederum der Drukpa-Linie der Kagyü-Schule. Klingt alles ziemlich hierarchisch, ist auch ziemlich hierarchisch und genauso präsentieren sich die Tsechus. Religiöse (lokale) Würdenträger sitzen fest installiert in irgendeiner Loge. Ihnen wird hofiert wie einst dem omnipräsenten Staatsratsvorsitzenden zu DDR-Zeiten.

Letztlich nennt jedes Dorf, jede Stadt, jeder Bezirk Bhutans (Dzongkhag genannt) ein Tsechu sein Eigen. Und jedes Maskenfestival involviert wiederum die lokalen religiösen Größen. Die Huldigung richtet sich sowohl gen Amt als auch gen Würdenträger. Heißt, die Bhutaner richten ihre Tsechus in erster Linie für sich und nur für sich aus, und nicht der Bespaßung der internationalen Touristenschaar wegen.

Ohne Moos nix los…

Tsechus sind öffentliche Gottesdienste und bereits die Teilnahme daran bedeutet Segnung und höheres Wohlwollen. Verständlicherweise finden sich daher komplette Familien, von Jung bis Alt, zum Tsechu ein um das Bhutan-weit propagierte Glück zu empfangen. Die Kleiderordnung schreibt vor, dass sich Besucher in die ausnahmslos feinsten traditionellen Gewänder hüllen haben.

Primär zum Finale eines Maskenfestivals werden Reliquien enthüllt, deren Position unschwer an der langen Schlange wartender Menschen erkennbar ist. Ein Tsechu kann durchaus mehrere Tage dauern. Zentrales Element und roter Faden sind die rote Masken tragenden Meister, die jeden Tanz kritisch beäugen und speziell bei den Generalproben korrigierend eingreifen. Während des eigentlichen Tsechus fungieren diese dann als Clowns, die die Zuschauerschaft mit penis-basierten Faxen erheitern und um ihr Geld erleichtern. Ja, Bhutan hegt und pflegt einen potenten Phallus-Kult.

Merkwürdigerweise geht es in Bhutan – verglichen mit z.B. Nepal und aus Sicht eines westlichen Touristen – häufig, um nicht zu sagen sehr häufig ums Geld. Ich mache mir daher den Spaß mit einem der rot maskierten Clowns/Geldeintreiber zu posieren. Er mit Bargeld in der Hand, ich mit der Kreditkarte. Glücklicherweise zählt nur Bares, ansonsten wäre ich das Plastik wohl auch schnell los. Die Omas neben uns amüsiert das, sind bis dato aber nur einmal zur Kasse gebeten worden…

Das alte Spiel „Inhalt und Verpackung“ gilt auch für Bhutan. Das Land ist leider nur auf den ersten Blick rein, naturverbunden und ethisch korrekt. Eigentlich müsste die starke Religiosität göttliche Werte wie z.B. Nächstenliebe aufleben lassen. Irgendwie wird dann aber alles stark aufs Geld reduziert. Guckt man sich das Schicksal der Lhotshampas an, dann landet man schnell auf dem Boden der Tatsachen lässt Guru Rinpoche sämtliche Inkarnationsstadien verlieren.

Yogi Padmasambhava – Der Guru Rinpoche

Die Tänze und Masken der Tsechus gehen im Wesentlichen auf die Legenden, Mythen und Überlieferungen rund um Yogi Padmasambhava zurück. Den den wichtigen Guru Rinpoche aus Kaschmir. Dieser Hauptapostel war bei Siddhartha Gautama, also bei Buddha persönlich in der Lehre und brachte den Buddhismus nach Tibet. Rein hierarchisch und christlich betrachtet also jemand wie Paulus.

Eins dieser Mythen handelt von Yeshe Tsogyal, einer ehemaligen Kaiserin. Sie verwandelte sich in einen Tiger und trug Guru Padmasambhava zu den Höhlen von Taktshang. Dort meditierte Rinpoche satte 3 Jahre, 3 Monate, 3 Tage, 3 Stunden um die achte Inkarnation zu erreichen. Das pittoreske Tigernest-Kloster in den Bergen Bhutans wurde an eben jener Stelle errichtet, über den Höhlen von Taktshang.

Eben jenen Geschichten und Mythen ferner Zeiten sind die Tsechus gewidmet, egal ob in einem Dorf in den Bergen oder aber in der Hauptstadt Thimphu. Jedes Maskenfestival fährt mit opulenten, historischen Gewändern, den mannigfaltigsten Masken und mit einer Farbenpracht auf, die nicht von dieser Welt scheint. Manche der Masken, zum Beispiel die der Clowns, ermöglichen den Blick durch die Augenöffnungen. Meistens aber werden die Masken so getragen, dass man durch die Mundöffnung schaut.

Begleitet werden die Tänze durch monoton und blechern scheppernde Paarbecken, Stieltrommeln und viele viele Glöckchen. Vor allem die Glöckchen erinnern an einen lebhaften Almabtrieb. Und dann sitzt man da mehrere Stunden, und schaut sich die immer gleichen Bewegungsabläufe des zähen Ringens von Ochs und Stier, von Wildschwein und Hirsch, von Adler und Schlange an.

Ab und zu dürfen auch die Frauen auftreten, mit ihren ruhigen und asiatisch anmutenden Tänzen. Ihr wehleidig klagender Gesang wird von wehleidig klagenden Gesichtern präsentiert. Gekrönt wird das Ganze vom Tanz der Ewigen, die sich jetzt gerade in diesem Moment (mein Sitznachbar glaubt fest daran) von den Toten das Leben nach dem Leben erzählen lassen.

Das große Tsechu von Thimphu

Fotografisch liegt mein Fokus natürlich auf der Hauptstadt Thimphu, und sind sie alle gekommen… Die Ränge der an den Königspalast geflanschten Betonmanege sind rappeldick voll, was die Ordnungskräfte mit absolut unverständlichen Aktionen auf den Plan ruft. Oft wird man zusammengeschissen, weil man es wagte für 20 Sekunden aufzustehen um ein Foto zu schießen, oder sich nur kurz die Beine zu lockern. Angeblich würden die Anderen dann nichts sehen. Ein groteskes Argument, das vor der undurchsichtigen Wand geöffneter Sonnenschutz-Regenschirme verpufft. Auch erlebten wir Situationen, wo Ordnungskräfte sinnfreie Sperren errichteten, die Massenpaniken begünstigen. Rainer Schallers Loveparade lässt grüßen.

Egal ob Dorf oder Hauptstadt, ein Tsechu ermöglicht auch immer schnell Einblicke in lokale Hierarchien und Gepflogenheiten. Während die Jungmönche oben unterm Dach einer der Türme ein Nickerchen halten dürfen, hat der Obermönch und Religionsvorsteher dem Ganzen von seiner Sonderloge aus nahtlos beizuwohnen. Auch er sitzt wie einzementiert hinter großen Fenstern, eingerahmt von bunter Beflaggung.

Am Thimphu Tsechu nahmen wir zwei Tage teil, und ehrlich gesagt ist der Funken nur am ersten Tag übergesprungen. Am zweiten Tag nervte die Masse Mensch doch gewaltig, nicht zuletzt nicht wenigen westlichen Touristen wegen. Viele von ihnen sind auf schrulligen Selbstfindungstrips, und benehmen sich auch so. Oder aber es sind Okö-Omas am oberen Ende ihrer Oberlehrer-Karriere, und benehmen sich so. In Berlin würde man ob der Männer-Lastigkeit der Darbietungen wohl „Sausage Party“ sagen. Dennoch, in keinem anderen Land der Welt wird der tantrische Buddhismus derart lebendig und authentisch gelebt und gepflegt wie in Bhutan.

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