Rabatz bei Rabaul – Der Hexenkessel des Tavurvur

Rabaul, eine Siedlung im Osten des magisch-exotischen Papua-Neuguineas, hat weltweit wohl eine der buchstäblich heißesten Stadtchroniken. Zum einen ist es bei ~30°C und ~90% Luftfeuchtigkeit unglaublich schwül, zum anderen geriet Rabaul im Zweiten Weltkrieg massiv zwischen die Fronten der Amerikaner und Japaner, wurde zum Spielball im heftigen Kampf um die Vorherrschaft im Pazifik. Doch das ist nur die jüngere Geschichte. Die viel größere Bedrohung ging von Anfang an von Naturgewalten aus, denn seit Menschengedenken prallen an diesem fernen Fleck Erde die mächtigsten Kräfte unseres Planeten ungebremst aufeinander und nehmen speziell das östliche Ende der Insel Neubritannien in die vulkanische Zange. Erdbeben sind an der Tagesordnung und gespeist von einer nur 3 bis 4 Kilometer tief liegenden Magmakammer toben sich dort mit Vulcan Crater und dem daueraktiven, hochexplosiven Biest Tavurvur gleich zwei Feuerberge ordentlich aus. Doch trotz aller Zerstörung kommen Natur und Mensch immer wieder an diesen Ort zurück und speziell unter Wasser sprüht das Leben nur so vor Vielfalt.

Der letzte Air Niugini Flug nach Rabaul hat an diesem Abend Verspätung. John wartet trotzdem wie verabredet auf den einzigen Weißen der das Flugzeug verlässt. Eigentlich war gutes Wetter angesagt, für einen kleinen, warmen aber dennoch heftigen Regenschauer sind die bis zu fünf Wolkenschichten des Südost-Passats in diesen Breitengraden aber immer gut, denn das tropische Archipel von Papua und Neuguinea liegt zwar nah am Sonne verwöhnten Äquator, dort branden allerdings auch die wassergeladenen, über dem Pazifik gebildeten riesigen Wolkenpakete an die der Südost-Passat mit sich schleppt. Zur Mitte des Jahres ist es glücklicherweise nicht ganz so nass und so kann John seinen Minibus über die mit Schlaglöchern besetzte Straße von Tokua über Kokopo nach Rabaul jagen.

Die simpelste Antwort auf die Frage wo zum Geier diese entlegene Gegend – Neubritannien – liegt, ist gleichzeitig auch die intelligenteste: direkt neben Neuirland. Da sag einer noch die Typen die die Erde benennen hätten keinen Humor, denn witzigerweise werden diese zwei im Osten Papua-Neuguineas (PNG) liegenden Inseln von einem Gewässer umspült, dessen Namensgebung deutscher nicht hätte sein können und jedem Briten wohl die Magensäure stocken lässt: die Bismarck-See, ein Meer am östlichen Ende Neubritanniens, das die dort liegende Gazelle-Halbinsel und den von ihr umschlungenen Naturhafen namens Simpsonhafen umspült.

Die 14km lange und 9km breite Bucht bestehend aus Simpsonhafen und Blanche Bay ist vulkanischen Ursprungs. Das ist die Rabaul Caldera (eigentlich Blanche Bay Caldera Complex), an deren Einfahrt sich die Stratovulkane Vulcan Crater und Tavurvur (auch unter dem seinem alten Namen Ghaie bekannt) auf den den Simpsonhafen zuschnürenden Landzungen, wie Skylla und Charybdis auflauernd gegenüber sitzen. Speziell der Tavurvur, dessen Name in der Sprache der Tolai „Aschespucker“ lautet, hat es faustdick hinter den Ohren…

Wenn es unter Vulkanen so gibt etwas wie eine launische Schwiegermutter gibt, dann wird der Tavurvur dieser Rolle mehr als gerecht. Man sollte ihm immer mit einer gehörigen Portion Respekt begegnen, denn auch heute noch schickt er kontinuierlich dickste Aschewolken gen Rabaul und sein rebellisch-wütendes Ausbruchsverhalten kann sich so gar nicht klassifizieren geschweige denn abschätzen lassen. Schwiegermutter hin oder her, im Streiflicht der Morgen- oder Abendstunden präsentiert sich der Vulkan äußert fotogen und das durch die vielschichtigen Wolken geschickte Licht produziert wunderbar abwechslungsreiche Lichtstimmungen. Manchmal scheint der Himmel sich förmlich zu öffnen um die Gas- und Aschewolken des Tavurvur zu empfangen.

Auch die spektakuläre Rabaul Caldera ist Teil des zirkumpazifischen Feuerrings auf dem sich 90% aller weltweit aktiven Vulkane befinden. Sie entstand an einem Punkt, an dem die Erdkruste einst stark fragmentiert wurde und sich die entstandenen Bruchstücke nun gegenseitig aufs Heftigste in Bedrängnis bringen. Sie liegt genau auf der sensiblen Nahtstelle zwischen nördlicher und südlicher Bismarck-Mikroplatte, zweier tektonischer Fragmente die sich nicht nur aneinander reiben, sondern darüber hinaus wie in einem Schraubstock eingespannt, zwischen der südlichen Salomon- und der östlichen großen Pazifischen Platte sitzen. Kurzum: eine ziemlich fragile Stelle im Erdmantel, deren Dünnhäutigkeit es in sich hat, wo wesentlich mehr los ist, als das vom Tourismusbüro empfohlene Highlight des örtlichen Canasta-Clubs…

Es gibt Momente im Leben, in denen alles anders kommt als erwartet. Mit leuchtenden Augen flog ich gen Rabaul, auf das mir die glühenden Brocken wieder um die Ohren fliegen mögen. Pustekuchen…! Trotz seines rebellischen Rufs döste der Tavurvur 2010 und 2011 größtenteils ruhig vor sich hin, sehr ruhig, zu ruhig. Mit den scherzhaften Worten „Naja, normalerweise werden Vulkane wieder aktiv wenn ich irgendwo auftauche“ nahm ich Kontakt mit den Jungs um Ima Itikarai vom Rabaul Volcano Observatory auf. Am Mittwoch den 03. August 2011 war es dann soweit. Das tiefe Bumm der Explosion ließ mich erst noch scherzen ob die Japaner wieder angreifen, dann aber zeigten die Finger bereits gen Vulkan, dessen Schlot sich just frei sprengte und eine ca. 1km hohe Aschewolke in den Himmel beförderte.

Eigentlich sollte die Kamera an diesem Morgen die Interaktion zwischen dem sehr starkem Wind und der omnipräsenten Asche als Zeitraffer einfangen. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort wurde sie dann Zeuge des wieder erwachenden Tavurvurs. Trotz geschätzter Windstärke 5-6 brauchte seine erste große Aschewolke seit 2 Jahre gute 2 Stunden um zu entschwinden. Im klimatisierten Seismikraum saßen die RVO-Jungs bereits kurz nach der Eruption vor den Computern und analysierten die Daten. Das Seismometer mit dem Kürzel TAV für Tavurvur kam nicht zur Ruhe, zeigte ein starkes Grundrauschen, den so genannten Tremor.

2,5 Stunden später gab es die nächste Explosion… Chefvulkanologe Herman merkt angesichts des Explosionscharakters an, dass das was wir gerade erleben keine Eintagsfliege sondern der Auftakt einer neuen Aktivitätsperiode ist. So kam es dann auch. Die phreatomagmatisch, also durch Kontakt von Wasser und Magma produzierten Eruptionen, sind bis zum Hügel des fast 7km entfernten Observatoriums zu hören, ja sogar zu fühlen. Die durch solche Eruptionen erzeugten Aschen sind fein wie Puder und Feind jeder Kameraausrüstung. Die Entscheidung am Sonntag zuvor die Kamera nicht auf den Krater mitgenommen zu haben war goldrichtig.

Mehr aus dieser Kategorie